Stummer Zorn
zustimmen.
„Was, wenn sie alle 0 positiv sind?" fragte ich trübselig.
„Dann ist es an mir, mir etwas auszudenken", sagte Barbara.
Sie faltete ihre Liste. „Nachdem wir uns von einigen Hundert auf fünf heruntergearbeitet haben, werde ich jetzt nicht aufgeben."
„So ist's recht. Ein Hoch auf die Mannschaft!"
Wir klopften einander ungeschickt auf die Schulter wie harte Männer und gingen getrennter Wege.
„Weiße Handschuhe, erinnerst du dich?" Mimi strich ihre Mähne zurück und lächelte mich an, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder aufs Fahren konzentrierte. Die Cochrans lebten in der Nähe des Colleges, hatte sie mir erzählt, allerdings in einer kleinen Vorstädtenklave hinter den großen Häusern, die dem College gegenüber lagen.
„Aber wir haben sie herumgetragen, wir haben sie nicht angezogen. Ich habe immer noch vier Paar unter meinen Nachthemden verstaut", gestand sie. ,.Ein Paar hat kleine blaßrosa Rosenknospen an den Handgelenken. Ich kann mir nicht vorstellen, wann ich sie jemals tragen werde, aber ich bringe es einlach nicht über mich, sie wegzuschmeißen."
„Ich hab meine eines Nachts ins Feuer geworfen, als ich versuchte, mich vom Südstaatlertum zu befreien."
„Warum um Himmels willen sollte man das wollen?"
„Na ja, Mimi, weißt du, es wurde uns zusammen mit Maisgtütze und Pralinen auch ziemlich viel Müll eingetrichtert." Eine Redensart - weder Mimi noch ich hätten Maisgrütze auch nur mit det Kneifzange angefaßt; Pralinen waren ein anderes Thema.
Mimi spitzte gedankenverloren die Lippen, während sie darüber nachdachte.
„Sicher", gab sie zu. „Aber weißt du, wir sind eine aussterbende Gattung. Wir müssen bewahren, was wir sind. Man hört heute keinen wirklich starken Dialekt mehr, außer hier und da, wie bei Alicia. Man hört niemanden mehr wie Großmutter ,Wasser' sagen. Mindestens sechs Silben. Ist Johnny Carsons Schuld."
„The Tonight Show? Johnny Carson ist für den Niedergang der Südstaatendialekte verantwortlich?"
„Klaaar", sagte Mimi mit breitem Grinsen. „Hast du Johnny Carson je ,Wasser' sagen hören? Das ist doch gar nichts!"
Mimi war immer noch dabei, ihre jüngste Theorie zu erläutern, als wir in die Auffahrt eines sehr schlichten Hauses in einem Ranch-Vorort fuhren, die Sorte, die man nicht mal betreten muß, um den Grundriß zu kennen. Sie hielt mitten im Satz inne, um zornig auf einen gestanzten Metalladler zu starren, der über die Eingangstür genagelt war — gegen die Dinger hatte sie eine besondere Abneigung.
Sarah Chase Cochran empfing uns mit gedämpftem gastfreundschaftlichem Eifer an der Tür. Über ihre Schulter erspähte ich Barbara, die ziemlich erleichtert aussah, uns zu sehen. Ich war überrascht, sie zu sehen, bis ich mich daran erinnerte, daß sie Donnerstag nachmittags keine Kurse abhielt.
Mimi schwänzte ihre Arbeit. Sie hatte mir erzählt, sie stecke nachts und am Wochenende soviel Zeit in Ferngespräche und Arbeit für die Komitees, daß sie es als gerechtfertigt ansah, ihr Büro hin und wieder ein paar Stunden früher zu verlassen.
„Ich bin so froh, euch zu sehen. Schön, daß ihr da seid", sagte Sarah Chase. „Es scheint, als bekäme ich euch alle gar nicht mehr zu sehen, also habe ich einfach gedacht, na ja, ich lade Mimi und ihre Freundin zum Tee ein und habe so die Gelegenheit zu einem Plausch."
Ich setzte mich auf das großkarierte Sofa neben Barbara und beantwortete die üblichen Fragen, die mir in einem freundlichen Wortschwall gestellt wurden - wie mir Knolls gefiel, ob ich New York vermißte, wie ich mich damit fühlte, „nach Hause" zurückzukommen, ob es nicht wundervoll sei, mit Mimi zusammenzuwohnen.
Dann begann Sarah Chase, sich nach Mimis Aktivitäten zu erkunden - sie mußte Barbara schon ausgefragt haben -, und ich hatte Zeit, mich umzusehen.
Es war die Sorte Haus, die nur eine starke Persönlichkeit bezwingen konnte. Sarah Chase war nicht stark genug. Vom grünen, zotteligen Teppichvorleger zum Geruch von Politur und Speisen, von den bescheidenen Schnäppchenmöbeln, die von geerbten Antiquitäten durchsetzt waren, zu dem wirklich schönen silbernen Teeservice, das Sarah Chase gerade mit einiger Anstrengung anschleppte, war es das Milieu, das zu vermitteln versucht: „Nur vorübergehend hier, bald kommt der soziale Aufstieg."
Allerdings waren Sarah Chase und Theo über das Alter hinaus, in dem sie hätten aufsteigen sollen. Die Cochrans waren auf der unsichtbaren Leiter einige Sprossen
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