Stunde der Klesh
entrinnen, wenn wir die Jagd wiederaufnehmen wollen. Ich sehe, daß du ein Haydar bist und zu den alten Hochklesh gehörst, die ihr Blut niemals vermischen. Auch weiß ich, daß du eine Edelfrau von hoher Herkunft bist, darum bitte ich um dein Auge und deinen Arm, auf daß unsere Feinde den Blitzstrahl spüren mögen. Willst du mir folgen?!“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, richtete er die Schwertspitze gegen ihre Kehle.
Tenguft schluckte und sagte zögernd: „Wie kann ich jemanden zurückweisen, der alte Bande beschwört in der Sprache der Väter, die in dieser traurigen Welt nicht mehr verwendet wird, es sei denn von den Edlen und den Eingeweihten. Bist du ein Dämon? Man sagt …“
„Ich bin kein Dämon, auch wenn viele mich so nennen würden. So komm denn. Es werden bereits viele Helmträger auf uns warten.“
„Diese anderen hier müssen mit uns ziehen.“
„Eile ist geboten. Eine große Gruppe ist hinderlich, besonders wenn einige von ihnen nicht kämpfen wollen oder können.“
Sie schüttelte den Kopf. Die Antwort fiel ihr schwer: „Nein, sie müssen uns begleiten. Ich habe einen heiligen Eid auf ihre Sicherheit geleistet. Ich bin für sie verantwortlich.“
„Dann also will ich dir von Geheimnissen sprechen, die die Zauberinnen der Haydars des Nachts beim Feuer in den Handknochen ihrer Mütter sehen: Ich bin Cretus, und ich bin zurückgekehrt, um mir die Welt zu eigen zu machen. Ich kann in deinem Gesicht lesen, daß ihr den alten Brauch noch immer pflegt. Vier begleiteten diesen Körper hinab in eine Kammer, sie wollten mich fesseln oder mich töten. Es ist ihnen nicht gelungen, aber auch ich habe einen Fehler gemacht. Einer konnte mir entkommen, und sicher hat er inzwischen die Wachen alarmiert. Es gibt nur einen Weg hier hinaus, den nach oben. Dort werden sie schon auf uns warten. Können diese Leute kämpfen?“
„Ich weiß es nicht. Sie sind Außenweltler, Erstvolk ist auch darunter. Der mit den grauen Haaren ist ein Mittler – niemand darf ihn angreifen.“
„Ich glaube nicht, daß sie viel taugen, wir können sie nicht brauchen.“
„Du hast in mir eine Kraft erweckt, der ich gehorchen muß. Aber ich kann diese hier nicht allein lassen. So muß denn der Tod mein ehrenvoller Ausweg sein.“
So liegt es also! Ich brauche gar nicht weiter in sie zu dringen. Ein Haydar, der die Reiferiten hinter sich hat, kennt keine Furcht vor dem Tod. Ich muß mich damit abfinden.
„Ob ich nun Cretus oder ein Dämon bin, ich akzeptiere deinen Einwand. Aber du mußt wissen, daß ich ein Hierarch der Ludi bin, daß ich Sara Damassou mit eigenen Augen gesehen habe und den Falaise entlanggeschritten bin.“
„Wenn du Cretus bist, von dem die Sage erzählt, dann bist du nicht aus dieser Welt, sondern aus der Vergangenheit. Sage mir, wer dein Meister bei der Wahrheitsprobe gewesen ist.“
„Tarso Emi Koussi.“
Sie hatte ihn auf die Probe gestellt, und aus seiner Antwort tönte die sagenhafte Vorzeit. Er hatte Menschen erwähnt, die in den Sagen hoch geehrt wurden, und zu ihr von Sara Damassou gesprochen, der einzigen Stadt, die je von Haydars erbaut wurde. Den heiligen Ort, die verbotene Stadt. Es gab sie schon lange nicht mehr, und niemand wußte, wo sie gestanden hatte.
„Also wollen wir diese Leute aufwecken und den Ort verlassen. Was mir vorausgesagt wurde, ist geschehen; ich möchte mich mit meinem Volk über die Ereignisse beraten. Es heißt, daß in alter Zeit die Haydars bei Cretus in hohem Ansehen standen; soll das noch immer gelten?“
„So soll es sein!“
Gemeinsam machten sie sich daran, die anderen aufzuwecken. Dies gelang schnell bei einigen, bei anderen machte es ziemliche Mühe, doch nach kurzer Zeit waren alle wieder bei Bewußtsein, und Tenguft erklärte ihnen die Situation. Längere Zeit hatte Cretus nichts mehr von seinem unfreiwilligen Gastgeber gespürt. Er straffte sich und hoffte, daß er ruhig blieb, bis sie aus der Festung heraus waren. Danach würde man sich zweifellos arrangieren müssen. Wie das geschehen sollte, konnte er sich nicht vorstellen; für diese Situation gab es in seinem Gedächtnis keinen Präzedenzfall.
8
„ Wer nicht in der Gegenwart lebt, lebt gar nicht. “
A.C.
Als alle wach und aufnahmefähig waren, erklärte Cretus ihnen noch einmal die Lage. Die Sätze und Worte dazu suchte er sich in Meures Gedächtnis zusammen. Er sprach mit verhaltener Autorität und einem feinen Sinn für Ironie; beides ließ sie ahnen, wozu er
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