Stunde der Wahrheit
Schrei aus und stürzte auf James zu, der in die Knie gegangen war und seine Hände auf den Oberschenkel presste. Unter seiner Hand quoll Blut hervor.
»Seid ihr vollkommen bescheuert?«, schrie sie die Männer an und kauerte sich vor James. Der, der ihm das Messer ins Bein gerammt hatte, schien selbst erschrocken über seine Tat. »Lasst uns abhauen«, schlug der Basecap-Typ vor und zog seinen geschockten Kumpel mit sich. Sie warfen einen Blick auf James schwarzen Wagen, dessen Motor die ganze Zeit über lief und eilten darauf zu.
»Hey!«, rief Emma, als sie darin einstiegen und den Motor aufröhren ließen.
»Das könnt ihr nicht machen!«, schrie sie und wollte hinterher, doch James packte ihren Arm.
»Lass sie«, sagte er mit zusammengepressten Zähnen und versuchte sich aufzurichten. Noch mehr Blut trat aus dem zerfetzten Loch seiner Hose.
»Aber wir müssen dich ins Krankenhaus bringen«, hielt sie dagegen. In diesem Moment preschte das Auto davon und fuhr mit quietschenden Reifen um die Ecke.
»Ruf einen Krankenwagen«, sagte er und ließ sich vorsichtig auf den Boden sinken. Er entlastete sein Bein, indem er es ausstreckte und presste die linke Hand unentwegt auf die Wunde. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen. »Gibt mir deins, ich hab kein Handy dabei«, sagte sie aufgelöst. Er klopfte seine Hosentaschen ab, dann lachte er laut auf.
»Was ist so lustig?«, fragte sie und musterte ihn kritisch. »Ich habe mein Handy im Wagen liegen lassen.«
»Waaaas?«, rief sie entsetzt.
»Das soll wohl ein Witz sein! Warum das denn?«
»Naja, ich hatte nicht viel Zeit zum Handeln gehabt, oder? Immerhin war der Kerl drauf und dran, dich anzugreifen.« Emma atmete tief durch, dann sagte sie: »Okay, dann bleib du hier, ich hole Hilfe.« Doch er schüttelte den Kopf.
»Nichts da, ich lass dich hier nicht alleine umherziehen. Du hast ja gesehen, wie das beinahe geendet ist.« Sie starrte ihn fassungslos an.
»Du musst in ein Krankenhaus, James, du verblutest!« Das ließ ihn schnauben. »Du kannst hier nicht einfach an den Haustüren klopfen und um Hilfe bitten. Hier wohnen Gangster, Schwerverbrecher und Mörder. Außerdem braucht es eine Weile, bis ich an der Verletzung sterbe.« Emma konnte nicht glauben, was sie da hörte.
»Findest du das etwa witzig?«
»Ganz und gar nicht«, antwortete er unerträglich ruhig. Dann fragte er:
»Hilfst du mir mal hoch?« Sie kam zu ihm und packte ihn unter den Achseln. Dabei fragte sie: »Und was willst du jetzt machen? Zum nächsten Krankenhaus laufen?« Sie holte tief Luft und brachte ihre gesamte Kraft auf, um ihn hochzuhieven, doch er rührte sich so gut wie überhaupt nicht. Mein Gott, sie hatte ganz vergessen, wie schwer er war! Sie erinnerte sich daran, wie er sich einmal auf sie gelegt hatte, ohne sich abzustützen und dass sie beinahe unter ihm erstickt war. Die Erinnerung brachte ihre Wangen zum Glühen.
»So wird das nichts. Du musst mich hochziehen«, sagte er geduldig und hielt ihr seinen Arm hin. Emma verstand ihn nicht. Wie konnte er nur so ruhig bleiben, während er langsam verblutete?
»Wir werden auf Eric warten müssen. Bei ihm zu Hause kann ich mich verarzten.«
»Auf ihn warten? Was, wenn er erst morgen wiederkommt? Außerdem ist seine Wohnung verschlossen. Ich bin durchs Fenster gestiegen.«
»Du bist was?«, fragte er mit großen Augen. Gleichzeitig zog sie ihn mühselig auf die Beine.
»Warum machst du so was?« Er legte einen Arm um ihre Schulter und stützte sich darauf ab. So liefen sie durch die dunkle Gasse zu Erics Wohnung und bei jedem Schritt schien sie mehr in den Erdboden gedrückt zu werden. Fast war sie gewillt, nicht darauf zu antworten. James wurde gerade mit einem Messer attackiert und machte ihr Vorhaltungen, weil sie so unvorsichtig gewesen war? Konnte es sein, dass er sich wirklich Sorgen um sie machte? Dass ihm ihr Leben wichtiger war als seines? Sie schüttelte den Kopf. Völlig unmöglich. Ausgeschlossen.
»Ich dachte, er will mich Liam aushändigen und als er mich eingeschlossen hat, bin ich durchs Fenster geflohen. Wusstest du, dass er für Liam gearbeitet hat?« Als er nicht sofort antwortete, sah sie zu ihm auf. Seine Kiefer waren fest zusammengepresst und mehr Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Unter dem Schein der einsamen Lampe, die über der Haustür hing, konnte sie sehen, wie blass er geworden war. Er würde ihr doch nicht umkippen, oder? Sie würde ihn niemals allein die Treppen hinauf
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