Sturm auf mein Herz
Er konzentrierte sich wieder auf Shelley, wollte sehen, wie sie auf seine nächsten Worte reagierte.
»Mein Stiefvater war das, was du als Wanderer bezeichnest.«
Sie runzelte die Stirn.
»Dieser Wanderer«, erklärte er sanft, »hat mir mehr über Liebe und Familie und ein Heim beigebracht, als ich in zwölf Jahren in demselben, unglücklichen Zuhause gelernt habe. Ob er nun kam oder ging, ob er blieb oder fort war, Seth war ein Mann, der zu lieben wusste. Und das ist es, was aus einer Wohnung ein Zuhause macht. Liebe.«
»Verrate das bloß niemandem«, sagte sie leise und stocherte an einem Pilz herum. »Sonst wäre ich arbeitslos.«
»Nein, wärst du nicht.«
Seine Stimme klang so tief und überzeugt, dass sie ihn ansehen musste. Seine grauen Augen waren voller Intensität auf sie gerichtet.
»Deine Arbeit ist ein Ausdruck deiner Fähigkeit zu lieben«, sagte er. »Du begreifst die Sehnsucht deiner Klienten nach einer Bleibe, die ihre Individualität reflektiert. Es ist ihr Zuhause, wenn du fertig bist, nicht deins.«
Ohne es zu wissen, nickte sie.
»Selbst bei der armen, törichten, traurigen JoLynn«, sagte Cain rau. »Du wirst ihr Haus so steril hinterlassen, wie du es vorgefunden hast, weil du weißt, dass sie sich nur so wohl fühlt. Du schenkst ihr so viel von einem Heim, wie sie akzeptieren kann, und das Einzige, was du daran bedauern wirst, ist ihre Unfähigkeit, mehr zu akzeptieren.«
Mit großen Augen starrte Shelley den Mann an, der irgendwie sogar mehr über sie wusste als sie selbst.
Sie hatte Jahre gebraucht, um zu verstehen, warum sie den Beruf gewählt hatte, den sie ausübte. Cain kannte sie kaum einen Tag - und durchschaute sie bereits vollkommen. Wenn sie nicht auch seine sanfte Seite kennen gelernt hätte, würde sie seine unheimliche Menschenkenntnis ziemlich ängstigen.
Trotzdem hatte er sie jetzt ganz schön aus der Fassung gebracht.
»Du bist ein verdammt guter Menschenkenner«, sagte sie schließlich. »Muss ganz schön nützlich sein in deinem Beruf.«
Seine Augen verengten sich kurz, als er den Anflug von Furcht in ihrer Stimme hörte.
»Erraten zu können, wie weit Leute die Wahrheit sagen oder wie gefährlich oder ungefährlich sie sind, hat mir schon so manches Mal den Arsch gerettet«, gab er zu. »Es hat mir aber auch das, was erholsame Pausen vom Berufsstress sein sollten, oft verdorben. Es gibt Menschen, über die man lieber nicht so viel wissen möchte, wie zum Beispiel zeitweise Bettpartner.«
»Amen.«
Obwohl Shelley dies leise sagte, bestand kein Zweifel an der Vehemenz, mit der sie ihm beipflichtete. Er lächelte.
»Hast wohl das gleiche Problem?«, erkundigte er sich.
»Mit zeitweise hatte ich noch nie viel am Hut, ob nun privat oder beruflich. Aber du hast Recht. Weil ich unter die Oberfläche sehen konnte, musste ich eine ganze Reihe von ansonsten sehr attraktiven Männern abweisen.«
»Wie Brian Harris?«
»Brian ist kultiviert, gebildet, reich, klug und teuflisch attraktiv.«
»Und?«
»Er ist einfach nicht mein Typ Mann. Er wird sich nie mit nur einer Frau zufrieden geben. Viele Männer sind so.«
»Knaben.«
»Was?«
»Knaben sind so. Männer wissen genug über sich selbst, das Leben und die Frauen, um über ihren Hormonspiegel hinausschauen zu können.«
Eine ihrer glatten, anmutig geschwungenen Augenbrauen zog sich fragend in die Höhe. »Ein ungewöhnlicher Standpunkt.«
Er zuckte mit den Schultern. »Nicht bei all den Männern , die ich kenne.«
Sie machte den Mund auf, um etwas zu sagen, als der Kellner mit ihren Hauptgerichten auftauchte.
Eine Zeit lang beschäftigten sie sich nur mit ihrem Essen.
Als Cain Shelley wie selbstverständlich eine Gabel voll Shrimps anbot, nahm sie an, bevor ihr bewusst wurde, wie intim die Geste war. Das erinnerte sie an ihre Kindheit, wenn ihre Eltern einander lachend gegenseitig fütterten. Selbst in Wüstencamps, wenn beide genau das Gleiche auf den Tellern hatten, hatten sie immer wieder Bissen miteinander getauscht.
»Wo bist du gerade?«, fragte er leise.
»Tinhert Hamada, der Ostteil der großen Wüste Sahara.«
»Algerien.«
»Ja.« Sie lächelte. »Ich bin es mehr gewöhnt, in geografischen Begriffen zu denken als in geopolitischen. Kommt wohl davon, dass ich bei einem Wissenschaftler aufgewachsen bin, nehme ich an.«
»Was hat dich an das große Sandmeer denken lassen?«
»Als ich von deiner Gabel aß. Mom und Dad haben das dauernd getan.«
»Ihr Essen miteinander geteilt?«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher