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Sturm auf mein Herz

Titel: Sturm auf mein Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lowell
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Vorstellung von Menschen auf dem Mond über das Begriffsvermögen der Wüstenkinder.«
    Cain strich sanft lächelnd mit der Wange über Shelleys Haar.
    »Es schien mir, als würden wir, kaum dass ich ein wenig Fortschritte gemacht hatte, wieder fortziehen«, erzählte sie weiter. »Dad hatte das jeweilige Projekt, an dem er arbeitete, abgeschlossen, und wir packten unsere Sachen. Damals begann ich, mich nach einem richtigen Zuhause zu sehnen.«
    »Hast du dich nach einem bestimmten Ort gesehnt oder einfach nach einem Platz, an dem die Leute dich verstanden?«
    »Das ist es, was ich unter einem Zuhause verstehe: einen Ort, an dem die Leute einen verstehen.«
    »Und L.A. ist dein Zuhause.«
    »Ja«, sagte sie sanft, unumstößlich.
    »Wer versteht dich in L.A.?«
    Er fühlte, wie sie sich versteifte, und wusste die Antwort -niemand in Los Angeles verstand Shelley.
    Dennoch beharrte sie darauf, dass dies ihr Zuhause war.
    »Schau mal, dort hinten, über den Häusern auf der Hügelkette«, lenkte er ab, in die betreffende Richtung weisend. »Der Mond ist blassgolden wie die Lichtflecken in deinen Augen.«
    Ein kleiner Schauder überlief sie, als er auf der Suche nach ihrem empfindlichen Ohr mit den Lippen unter ihr Haar fuhr. Aber es war nicht nur seine Liebkosung, die sie erzittern ließ. Jedes seiner Wort war wie ein Kiesel, der in den ruhigen Teich ihrer Ansichten plitschte, Worte, die zuerst kleine Wellen verursachten, dann Wellen, die bis an ihre Seele schwappten, die ihr Glück, ihre Sicherheit bedrohten, ja ihre ganze Vorstellung eines Zuhauses.
    Er versteht einfach nicht, dachte sie müde. Wie sollte er auch? Er ist nie durch die Hölle gegangen, durch die ich musste, als Preis für ein Leben an wilden, unberührten Orten.
    Wenn er mich verstehen würde, könnten wir vielleicht zusammenbleiben.
    Eine überwältigende Sehnsucht erfasste sie, eine Sehnsucht nach etwas, das sie nie gekannt hatte. Seine Tränen und sein Lachen mit jemandem zu teilen, seine Hoffnungen und Ängste, seine Triumphe und Fehlschläge.
    Sein Leben mit jemandem zu teilen.
    »Als ich sieben war«, begann sie, »lebten wir eine Zeit lang in einem Zeltlager irgendwo in der Negev. Da war auch ein Mond wie der hier. Fiebermond.«
    Sie umklammerte seine Unterarme. Ihre Stimme war dünn und zum Zerreißen gespannt. Ihr gesamter Körper vibrierte vor Anspannung. Noch nie hatte sie über ihre schrecklichen Ängste und ihre gleichermaßen kühnsten Hoffnungen gesprochen.
    »Wir waren erst seit zwei Tagen im Lager«, sagte sie. »Wir müssen uns irgendetwas in der Stadt eingefangen haben. Dad war unterwegs, um die Gegend erst einmal zu erkunden. Die meisten Helfer waren bei ihm. Der Führer war der Einzige, der Englisch sprechen konnte. Er begleitete Dad. Mom und ich waren im Lager geblieben. Sie wurde als Erste krank.«
    Cains Augenlider zuckten. Seine Arme umschlossen Shelley fester.
    Sie strich rastlos über seine Unterarme, als wolle sie sich selbst davon überzeugen, dass sie nicht länger sieben Jahre alt war, nicht länger allein, kein verschrecktes Kind mehr, das Zusehen musste, wie seine Mutter ins Delirium fiel.
    »Ihre Stirn war heiß, so heiß wie der Wüstensand, ja noch heißer. Dann fing sie an zu reden und zu lachen und zu weinen. Das machte mir Angst. Sie redete mit Großeltern, die, wie ich wusste, längst tot waren. Ich ahnte nicht, was ich tun sollte.«
    »Du warst erst sieben! Irgendwelche Heldentaten hätte doch keiner von dir erwartet.«
    Shelley schien seine tröstenden Worte nicht zu hören. Sie umkrallte seine Handgelenke.
    »Mom fing an, nach Dad zu rufen. Ich rannte in die Nacht hinaus. Der Mond war eine bronzene Scheibe, so wie heute.«
    Cain schaute kurz den bronzenen Mond an, der über den Bergen stand, und drückte sie noch enger an sich.
    »Draußen waren zwar zwei Männer, die sich um die Packtiere kümmerten«, sagte sie. »Aber keiner sprach Englisch. Egal wie sehr ich auch jammerte und weinte, sie verstanden nicht, dass meine Mutter Hilfe brauchte.«
    Er wollte sie küssen, wollte die Lawine schmerzhafter Erinnerungen stoppen, doch er tat es nicht. Er hielt sie stattdessen einfach in den Armen, voller Mitgefühl für das verängstigte kleine Mädchen von damals.
    »Schließlich zerrte ich einen der Männer zum Zelt. Er weigerte sich einzutreten. Dann hörte er Mom lachen und wimmern und brabbeln. Er wandte sich um und rannte davon.«
    Cain murmelte leise Trostworte in Shelleys Haar und wiegte sie in seinen Armen.

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