Sturm der Herzen
flüchtete sich Isabel in einen Wutanfall. Sie hob den Kopf und starrte ihn finster an. »Hugh und ich haben in London mit Sondererlaubnis geheiratet. Das kannst du gerne überprüfen, wenn du mir nicht glaubst«, entgegnete sie hitzig. Sie schob ihn beiseite, stieg aus dem Bett und nahm sich ihren warmen gelben Wollmorgenrock. Sie zog ihn sich über und verknotete rasch den Gürtel um ihre Taille. Sie fühlte sich gleich besser, und ihr Zorn verflog. Sie sah ihn an und sagte hilflos: »Es war das, was Hugh wollte. Sogar noch vor Edmunds Geburt hat er darauf bestanden, dass die wahre Abstammung des Jungen nie bekannt werden dürfte.« Erinnerungen an diese ersten, angespannten und elenden Tage in Indien kamen zurück und schnürten ihr die Kehle zu. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass eine Entscheidung wegen des Kindes, das unterwegs war, gefällt werden musste, aber die ganze lange Seereise nach Bombay hatte sie dieses Wissen verdrängt. Sie - sie alle - waren in einem schrecklichen Dreieck gefangen, in dem es um das Leben eines unschuldigen Kindes ging. Wenn sie nur nicht so unüberlegt gehandelt und Hugh nicht überredet hätte, sie zu heiraten. Schuldgefühle erfassten sie, und Tränen traten in ihre Augen. »Es ist alles meine Schuld«, erklärte sie und starrte auf ihre bloßen Füße.
»Das bezweifle ich«, entgegnete Marcus beißend. »Du kannst Edmund kaum ganz allein aus der Luft gezaubert haben.«
Trotz des Ernstes des Moments musste Isabel über diese Bemerkung beinahe lächeln. Man konnte sich darauf verlassen, dass Marcus so prosaisch war.
Er stand auf, nahm sich seinen Morgenmantel und zog ihn an. Er war stärker erschüttert, als er es für möglich gehalten hatte. Das Wissen, dass Isabel Jungfrau gewesen war, erfüllte ihn mit höchster Freude … und Reue, dass er nicht behutsamer mit ihr umgegangen war. Aber bis auf diese Sekunde der Klarheit war alles in ihm einzig darauf konzentriert gewesen, das Verlangen in ihm zu befriedigen, das ihn fest im Griff hatte. Mit ihrem weichen Körper verschmolzen, war er zu keinem klaren Gedanken mehr in der Lage gewesen. Erst später, in den paar Augenblicken, die er neben ihr im Bett gelegen hatte, war ihm aufgegangen, welche Folgen sich daraus ergaben.
Marcus hatte das Gefühl, als sei er in einen Abgrund getreten, er versuchte aus dem Sinn zu machen, was er wusste oder zu wissen meinte. Isabel war noch Jungfrau gewesen. Das war eine Tatsache, die er mit absoluter Sicherheit wusste. Sein Blick fiel auf das rosa verfärbte Wasser in der Schüssel. Sie hatte nie ein Kind zur Welt gebracht, Edmund konnte daher nicht ihr leiblicher Sohn sein.
Er runzelte die Stirn. Der Junge war eindeutig ein Manning, er zweifelte auch nicht daran, dass Edmund Hughs Sohn war. Warum war sie aus Indien heimgekehrt und hatte behauptet, dass er ihr Sohn sei? Um sich Zeit zu verschaffen, um nachzudenken und alle Spuren ihrer verlorenen Unschuld zu vernichten, nahm Marcus die Schüssel und den Lappen.
Isabel schaute zu, wie er sorgfältig die letzten Reste des Blutes beseitigte, den Lappen gründlich ausspülte, mit dem er sie gewaschen hatte, dann zum Fenster ging, es aufriss und das Wasser schwungvoll auskippte. Dann schloss er das Fenster wieder, stellte die Schüssel auf einen Tisch neben dem Bett, drehte sich schließlich wieder zu ihr um und sah sie an.
Sein Blick blieb an ihren Augen hängen, er erklärte nicht ohne Bitterkeit: »Ich bin nun Teil deiner Lüge. Niemand außer uns beiden weiß, dass du und Hugh eure Ehe nie vollzogen habt und dass Edmund nicht dein Sohn ist.«
Sie nickte; ihre Gefühle waren so durcheinander, dass sie nicht sprechen konnte. Sie hatte immer schon gewusst, dass Marcus ihr und Edmunds Geheimnis nicht verraten würde, aber bis zu diesem Moment hatte sie nicht begriffen, welche Chance sie damit vertan hatte, es ihm nicht vorher zu sagen. Sie hatte ihm nicht die Chance gegeben, für sich selbst zu entscheiden, ob er sich an der Lüge beteiligen wollte, die sie lebte, seit sie zum ersten Mal von Edmund erfahren hatte. Ihr einziger Gedanke hatte Edmund gegolten und dass sie ihrem Sohn - und sie konnte von Edmund nicht anders denken als ihrem Sohn - seinen angestammten Platz im Leben sichern musste. Sie war entschlossen gewesen, das Versprechen zu halten, das sie und Hugh sich in jener langen, heißen und traurigen Nacht gegeben hatten, und hatte keinen Gedanken darauf verschwendet, welche Rolle Marcus bei ihrer Lüge spielen würde. Nie hatte sie
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