Sturm der Leidenschaft
gefährlich sanft. Er stellte sein Glas ab und ließ Amelia Eubank einfach stehen.
Whitney spürte Claytons leichte Berührung am Ellbogen, drehte sich um und lächelte ihn dankbar an. Den ganzen Abend hatte er sich geradezu rührend um sie gekümmert und war stets zur Stelle gewesen, wenn sie irgendeine Hilfe brauchte. »Sie müssen doch erschöpft sein«, flüsterte er ihr jetzt zu. »Können Sie nicht unauffällig verschwinden, um endlich zur Ruhe zu kommen?«
»Ja, ich denke, das werde ich tun«, seufzte Whitney. Nahezu alle Gäste waren bereits gegangen oder hatten sich in ihre Räume zurückgezogen, und Tante Anne schien ebenso willens wie in der Lage, als Gastgeberin zu fungieren. »Vielen Dank für Ihre Hilfe heute abend«, sagte sie. »Ich weiß das sehr zu schätzen.«
Clayton sah ihr nach, wie sie den Ballsaal verließ, dann trat er auf Martin Stone zu. »Ich möchte ein Wort mit Ihnen und Lady Gilbert sprechen, sobald Ihre Gäste gegangen sind«, sagte er knapp.
Selbst das Erklimmen der Stufen war eine Anstrengung für Whitneys müde Beine. Sobald sie ihr Zimmer erreicht hatte, zog sie sich mit müden Bewegungen ihre Robe aus. Als sie sich vorbeugte, fiel ihr ein Schmuckstück aus dem Mieder.
Unendlich zärtlich hob Whitney den Opalring vom Teppich auf und betrachtete ihn versonnen. Pauls Ring. Er hatte ihn ihr heute beim Abschied gegeben. »Um dich daran zu erinnern, daß du mir gehörst«, hatte er geflüstert und ihr den Ring in die Hand gedrückt.
Ihren Verlobungsring ... Sie steckte ihn sich an den Finger und streckte die Hand aus, um ihn besser bewundern zu können. »Whitney Allison Sevarin .. .«, murmelte sie leise vor sich hin. Irgend etwas regte sich in ihrem Gedächtnis, und wieder sagte sie den Namen halblaut, um sich zu erinnern . . .
Glücklich auflachend schlüpfte sie in einen Seidenmorgenrock, schlang sich den Gürtel um die Taille und lief zum Bücherschrank. Sie holte die ledergebundene Bibel heraus, blätterte mit fliegenden Fingern darin, fand aber nichts. Schließlich hob sie das Buch und schüttelte es. Ein mehrfach gefalteter Zettel fiel heraus. Whitney strich ihn glatt und begann zu lesen:
»Ich, Whitney Allison Stone, im Alter von fünfzehn Jahren und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und all meiner Tugenden (unabhängig davon, was Papa sagt) schwöre und gelobe hiermit, daß ich Paul Sevarin irgendwie dazu bringen werde, mich zu heiraten. Ich werde auch Margaret Merryton dazu bringen, all die Scheußlichkeiten zurückzunehmen, die sie über mich verbreitet hat. Mit dem heutigen Tag geschworen und unterzeichnet von der künftigen Mistress Paul Sevarin.«
Unter die Unterschrift hatte sie »Whitney Allison Sevarin« geschrieben und das - offenbar getrieben von ihrer kindlichen Sehnsucht - mindestens ein Dutzend Male.
Als sie diesen Zettel nach so vielen Jahren las und sich nur zu gut an die Verzweiflung erinnerte, mit der sie ihn geschrieben hatte, wurde ihr Glück über Pauls Ring so groß, daß sie glaubte, es nicht mehr ertragen zu können. Sie konnte jetzt nicht einfach zu Bett gehen und schlafen! Sie mußte sich jemandem anvertrauen, der ihr Glück mit ihr teilte . . .
Sie zögerte noch ein wenig und beschloß dann, ihrem Vater sofort mitzuteilen, daß Paul um ihre Hand anhalten würde. Er würde sich daran erinnern, wie sie Paul vor vielen Jahren nachgestellt hatte, und mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, daß sich die Nachbarn über ihre Possen nicht mehr lustig machen konnten. Jetzt war es Paul, der um sie warb, der sie heiraten wollte.
Whitney warf einen prüfenden Blick in den Spiegel, schloß den Gürtel ihres roten Dressinggowns fester, warf die langen Haare über die Schulter zurück und verließ ihr Zimmer.
Nach der ausgelassenen Fröhlichkeit vor wenigen Stunden wirkte die Stille des Hauses seltsam melancholisch, doch dieses Gefühl schüttelte Whitney schnell ab, als sie an die Tür des Schlafzimmers ihres Vaters klopfte.
»Ihr Vater befindet sich mit Lady Anne in seinem Arbeitszimmer, Miss Stone«, informierte sie ein Diener, der gerade den Korridor entlang kam.
»Vielen Dank. Gute Nacht.«
Whitney eilte die Treppe hinunter, klopfte an die Tür des Arbeitszimmers und stürmte auf seine Aufforderung hin hinein. Ihr Vater saß hinter seinem Schreibtisch, links vom Kamin Tante Anne. Daß in dem hohen Lehnsessel ihrer Tante gegenüber noch jemand saß, konnte Whitney in dem dämmerigen Licht des Kaminfeuers nicht sehen.
»Ja, Tochter? Was gibt
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