Sturm der Verfuehrung
Charlie zu und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf das dampfende Stew, das Mrs Carter ihm auf den Teller gelöffelt hatte.
Als letztes Mitglied der Belegschaft gesellte sich Joseph Tiller zu ihnen an den Tisch. Sarah lächelte ihn an, und er nahm mit einem Lächeln für sie und einem zurückhaltenden Nicken an Charlies Adresse seinen angestammten Platz neben Katy ein. Mit seinem dunklen Haar und der hellen Haut war Joseph ein gut aussehender Mann. Obwohl er bei aller Sanftheit, die er ausstrahlte, reserviert wirkte, waren Katy, Sarah, Jeannie und Quince überzeugt, dass er bis über beide Ohren in Lily verschossen war, und sie hofften alle, dass er irgendwann den Mut aufbringen würde, Lily wenigstens zu fragen, ob sie sonntags nicht gemeinsam die Kinder in die Kirche begleiten wollten.
»Joseph Tiller - Lord Meredith.« Erstaunt sah Sarah, wie Charlie dem Mann über den Tisch hinweg die Hand hinstreckte. Woran hatte er gemerkt, dass er einen Gentleman vor sich hatte? »Joseph ist im Auftrag des Bischofs von Wells bei uns«, fuhr sie fort. »Das Waisenhaus steht unter der Schirmherrschaft des Bischofs. Joseph hilft, die Kinder zu unterrichten, vor allem die älteren Jungen.«
Charlie lächelte ihn mitfühlend an. » Sicher keine leichte Aufgabe.«
Josephs Mundwinkel hoben sich. »Meistens nicht, aber es gibt auch befriedigende Momente.«
Mrs Carter schlug mit ihrem Löffel auf den Deckel der Terrine, und die Kinder verstummten abrupt. Joseph neigte den Kopf und sprach mit einer Stimme, die wie leises Donnergrollen über die gesenkten Köpfe hinwegrollte, das Tischgebet.
Nach seinem »Amen« brach ein Tumult los. Charlie zog die Brauen hoch.
Joseph fing seinen Blick auf und lächelte. »Das ist immer so.«
Die Mahlzeit verlief mit den üblichen Unterbrechungen, denn immer wieder musste der eine oder andere vom Personal aufstehen, um Streitereien unter den lärmenden Schützlingen zu schlichten, aber nie war echte Bösartigkeit oder Zorn im Spiel. Die Stimmung wurde von Spaß getragen und einem Gefühl des Aufgehobenseins.
Sarah genoss wie jeden Montag die Atmosphäre, die an einen sicheren Hafen erinnerte. Eben diesen hatte ihre Patin für Kinder schaffen wollen, als sie das Waisenhaus vor langer Zeit gründete, und eben diesen wollte Sarah erhalten.
Als der letzte Pudding aus den Schüsseln gekratzt war, drehte sich Charlie ihr lächelnd zu. »Ich komme mir vor wie in einer Familie mit einer Menge lebhafter Kinder.«
Sie erwiderte sein Lächeln, tupfte sich mit ihrer Serviette den Mund ab und legte sie auf den Tisch. »Genau das wollen wir erreichen.« Sein Eindruck überraschte sie nicht - wie sie entstammte auch er einer großen Familie.
Inzwischen hatten viele der Kinder und ein Teil des Personals den Speisesaal verlassen. Als Sarah aufstand, tat Charlie es ihr nach. »Ich muss mit Quince sprechen - wir müssen die Wäsche durchsehen. Das wird ein paar Stunden dauern.«
Er zuckte mit den Schultern. »Dann mache ich vielleicht einen Spaziergang.«
Joseph, der ihnen gegenübergesessen hatte, erhob sich ebenfalls und blickte von Sarah zu Charlie. »Ich habe den älteren Jungen eine Runde Schlagball versprochen, wenn sie mit ihren Rechenaufgaben fertig sind. Haben Sie vielleicht Lust mitzuspielen?«
Charlie grinste. »Warum nicht?«
Sarah entschuldigte sich und ging. Es fiel ihr schwer, sich den stets korrekt und elegant gekleideten Charlie beim Schlagballspielen vorzustellen, umso mehr, wenn sie daran dachte, dass die Jungen danach regelmäßig aussahen wie durch eine Hecke gezogen. Sogar Joseph kam jedes Mal reichlich unordentlich daher.
Aber, dachte sie in sich hineinlächelnd, Charlie war schon groß, er konnte gut auf sich selbst aufpassen.
Entschlossenen Schrittes stieg sie zum Dachgeschoss hinauf, wo sie mit Quince die Wäsche inspizieren und ohne Zweifel haufenweise zerrissene und zerschlissene Wäsche finden würde.
In der darauf folgenden Stunde prüften sie zahlreiche Stapel, machten sich Notizen und sortierten aus. Für diese Arbeit benutzten sie immer den Säuglingssaal. Die Wiegen mit Qunices Schützlingen -sechs im Moment, mehr als üblich - standen aufgereiht an einem Ende. In einigem Abstand davon stand Quinces Rollbett, da sie bei den Kindern schlief.
Mit ihrer hageren Gestalt, dem strengen Nackenknoten und ihrem aufbrausenden Temperament schien sie auf den ersten Blick denkbar ungeeignet als Kinderfrau, aber Sarah hatte schon oft erlebt, wie die harten Züge weich wurden und
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