Sturm im Elfenland
Langeweile des Falls. Fiel sie überhaupt? Schwebte ihr Nicht-Körper nicht vielmehr bewegungslos in dieser Funken sprühenden Dunkelheit?
Wieder rief sie nach Ivaylo. Oder dachte an ihn, sie konnte es nicht unterscheiden. Am Rand ihres Blickfeldes flammte mit ihrem Gedankenruf etwas auf und erlosch wieder.
»Ivaylo«, versuchte sie es erneut. Aufflammen. Erlöschen. Alana drehte sich in die Richtung der Erscheinung und rief/dachte Ivaylos Namen.
Schwarzes Feuer. Die Ahnung einer Antwort: »Hilf mir!«
»Ich komme«, dachte sie laut und schob sich mit der Kraft ihres Willens auf das schwarze Feuer zu. Es wuchs vor ihr in die Höhe, je näher sie ihm kam: eine Feuersäule aus schwarzem Glanz und tödlicher Hitze, die um ein Zentrum tobte, das sie nicht erkennen konnte, und dabei ein tosendes Donnern erklingen ließ. Sie schloss geblendet ihre Nicht-Augen. Das Donnern und Toben des schwarzen Feuers ließ sie nahezu taub werden. Aber trotzdem hörte sie durch das Tosen hindurch schwach Ivaylos Hilferufe, die sie hierher geleitet hatten.
»Wo bist du?«, schrie sie.
Die Antwort schien von einem Punkt tief unter ihr zu stammen. Alana ließ sich an der Feuersäule entlang nach unten gleiten. Die Hitze ‒ oder Kälte? ‒, die davon ausstrahlte, schmerzte sie bis ins Innerste dessen, was sie für ihren Körper ‒ oder ihre Seele? ‒ hielt.
Wieder rief sie nach Ivaylo und wieder erklang eine schwache Antwort. Tiefer hinab.
Sie tauchte in einen Abgrund, dessen Dunkelheit noch tiefer war als die Funken sprühende Finsternis, durch die sie bisher gefallen war. Nur sie und die tobende, rasende, brüllende Säule aus schwarzem Feuer existierten noch. Alana spürte, wie sie die Kräfte verließen. Sie schrie Ivaylos Namen, voller Angst, dass sie aufgeben musste, zurückkehren, ihn verlassen, ehe sie ihn gefunden hatte. Oder, noch schlimmer, dass sie endlos weiter durch die Finsternis fallen würde, trudeln, taumeln, wie ein Vogel, der tot aus zu großer Höhe stürzt. Sie sah sich in alle Ewigkeit stürzen, während ihr Fleisch von den Knochen faulte und sie langsam zu Staub und Moder zerfiel, immer noch stürzend, fallend, fallend, stürzend ...
Sie stand. Ungläubig bewegte sie ihre Zehen. Sie fühlte Grund unter ihren Füßen. Sie besaß wieder einen Körper, den sie sehen, spüren, berühren konnte.
Alana schaute sich um. Ringsumher erstreckte sich eine weite, leblose Ebene unter einem düsteren, sonnenlosen Himmel. Der Boden unter ihren Füßen war aus narbigem Felsgestein, das unvermutet immer wieder von Stellen unterbrochen wurde, die wie glasierter Ton glänzten und spiegelglatt waren. Irgendwo am Horizont flackerte der Widerschein eines bläulichen Feuers. Alana wurde schwindelig. Die Luft erschien ihr viel zu dicht und viel zu warm, und sie spürte ein schweres Gewicht auf ihrer Brust. Verzerrte Geräusche, falsche Farben und verwirrende Gerüche narrten ihre Sinne. Ein widerlich blauer Gestank stieg in ihre Nase, und der Geschmack von Hundegebell würgte sie in der Kehle. Ihre Augen spielten ihr Streiche, sie sah Bewegungen am Rand ihres Blickfeldes, die verschwanden, wenn sie den Kopf wandte. Alana zwang sich dazu, nicht erschreckt herumzufahren, sondern starr geradeaus oder auf ihre Fußspitzen zu blicken. Dies war kein Ort, an dem sie lange bleiben durfte.
Sie ging ein paar Schritte und vernahm schrilles Geheul und dumpfe Knurrlaute, die entweder weit entfernt oder ganz in der Nähe erklangen – sie konnte es nicht auseinanderhalten. Welche Geschöpfe auch immer diese Laute hervorbrachten, sie wollte ihnen lieber nicht begegnen.
»Ivaylo«, rief sie atemlos.
»Hier«, ertönte die schwache Antwort. Ein Stück voraus stand das untere Ende der Feuersäule, die sie hergeleitet hatte, auf dem glasig gebrannten Boden. Alana tastete sich voran, rutschte, glitt aus, fing sich wieder, machte den nächsten Schritt.
Dann sah sie eine Gestalt, die reglos auf dem Boden hockte. Sie hielt einen Arm weit von sich gestreckt, die Handfläche war nach oben gerichtet, und aus ihr heraus entsprang die monströse, riesenhaft emporwachsende Säule aus schwarzem Feuer.
Alana erkannte ihn nicht sofort, so blass und ausgezehrt erschien ihr sein Gesicht. Seine Augen waren weit aufgerissen und starrten durch sie hindurch, an ihr vorbei, in die Finsternis hinter ihr. Alana kniete vor ihm nieder, ohne das sengende Feuer zu beachten, das seiner Hand entsprang, und legte die Hände auf seine Schultern, um ihn sacht zu
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