Sturm: Roman (German Edition)
nickte er. »Also gut, großer Meister. Und ihr habt es gehört, Ladys, oder?« Sein Blick wanderte zwischen Kinah und Lubaya hin und her. »Nicht, dass es nachher heißt, wir hätten keine faire Abmachung getroffen. Aber Birdie wird auch bestimmt noch ein kleines Schriftstück aufsetzen, bevor wir durchstarten.«
»Das kann er gerne machen«, sagte Dirk müde. Er fühlte sich total erschlagen. »Warten wir also, bis die Typen wieder hier auftauchen. Und in der Zwischenzeit«, wandte er sich an Kinah, die seine Feilscherei mit schief gelegtem Kopf und fassungslosem Gesichtsausdruck verfolgt hatte, »kannst du mir erzählen, was du von Akuyi weißt und warum du damals wirklich gegangen bist.«
»Einen Teufel werde ich tun!«, schimpfte Kinah. »Erst verschacherst du unser Haus, und dann willst du auch noch Rambo spielen, um diesen Birdie rauszuboxen! Glaubst du, du kannst es mit einer ganzen Schlägertruppe aufnehmen?«
»Ich bin ja auch noch da«, meldete sich John. »Und ich werde kämpfen wie ein Löwe. Ihr Mann muss mir nur den Rücken freihalten.«
Kinah beachtete ihn gar nicht. »Du bist ja noch nicht einmal bewaffnet!«, sagte sie zu Dirk.
»Das können wir ändern«, erklärte Rastalocke und zog etwas aus seinem Hosenbund. Es war eine großkalibrige Pistole, die Dirk sofort wiedererkannte. »Hier! Fang!«
Damit warf er sie Dirk auch schon zu. Aber da dieser in verkrampfter Schräglage auf dem Boden saß und sich mit der linken Hand abstützte, war es ihm vollkommen unmöglich, die Waffe zu fangen. Das erledigte Lubaya an seiner Stelle mit einer lässigen Handbewegung.
»Sieh an«, sagte sie und wog die Pistole in der Hand. »Daher also die Bezeichnung Zimmerflak. Was ist denn das für ein Riesenkaliber? Geht man damit auf Mammutjagd?«
»Das ist eine Signalpistole«, antwortete Dirk. »Und es wäre schön, wenn du mir das Ding geben und endlich den Verband fertig wickeln würdest.«
»Sehr wohl, Massa.« Sie reichte ihm die Pistole und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Mullbinde, die sie ihm angelegt hatte.
»Was soll der Quatsch?« Kinah baute sich mit funkelnden Augen vor ihm auf wie eine Rachegöttin. »Willst du dem nächsten Angreifer ein Loch in den Bauch brennen?«
»Wenn es sein muss«, stieß Dirk hervor. Lubaya gab ihm einen kleinen Klaps auf den Oberschenkel zum Zeichen, dass sie ihr Werk vollendet hatte.
Kinah starrte ihn zweifelnd an und half ihm dann dabei, aufzustehen. »Selbst wenn es dir gelingt, damit einen der Kerle auszuschalten, wird ein anderer dich umbringen.«
»Ich habe nicht vor, das Ding zu benutzen.« Dirk kam wackelig auf die Beine. »Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
Mit diesen Worten steckte er die Pistole in seinen Gürtel und wartete darauf, dass sich ein Gefühl von Sicherheit einstellte. Aber es blieb aus – vielleicht, weil Kinah recht hatte. Mit einer einschüssigen Pistole, die noch dazu mit Leuchtmunition statt mit Kugeln geladen war, würde er nicht weit kommen.
»Das sagen alle«, erwiderte Kinah. »Und dann gibt es doch ein Blutbad.«
»Was?«
»Vergiss es. Du wolltest wissen, warum ich euch vor drei Jahren verlassen habe und was das mit Akuyis Verschwinden zu tun hat.« Kinahs Blick schweifte in die Ferne. »Ich fürchte, ich muss weit ausholen, um dir das zu erklären. Versprich mir, dass du ruhig zuhören und mich nicht unterbrechen wirst – auch, wenn dich das eine oder andere vielleicht schockieren wird.«
Kapitel 21
Dirk lauschte dem, was Kinah zu sagen hatte, und je länger er ihr zuhörte, desto mehr glitt er hinüber in eine andere Zeit, in eine andere Person. Ihm schien, als ginge er selbst die Straßen entlang, die Kinah entlangging, als atmete er die Luft, die sie atmete, und schließlich sah er sie förmlich vor sich, sah, wie Kinah den Brief sinken ließ, der in einem alten, fast vergessenen afrikanischen Dialekt verfasst war, der viele tausend Jahre lang nur mündlich überliefert worden war, bevor man ihn in eine lediglich wenigen Auserwählten bekannte Schriftsprache überführt hatte.
Kinah lehnte sich gegen die Mauer des Hauses, vor dem sie wartete, und atmete tief aus. Ihre Atemluft bildete einen feinen Nebel vor ihrem Gesicht, wurde vom Wind ergriffen und verwirbelt. Der Brief war alt, das Papier brüchig, vergilbt und an mehreren Stellen eingerissen – ein Zeichen dafür, wie oft sie das Schriftstück in den letzten Jahren in Händen gehalten hatte. Der Brief war das Einzige, was ihr Vater ihr für ihren
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