Sturm über Freistatt
hereingelegt und verbannt wurde. Über Freistatt ist ein gewaltiges Netz gesponnen, Hoherpriester, schon ehe Vashanka verschwand. Das Gesicht zeigt viel, doch wenig Verständliches.« Sie sprach zu ihm wie zu einem ihrer Kunden, und einen Augenblick wirkte er verlegen.
»Wieviel Hoffnung bedarf es, S’danzo? Und wieviel Bedürfnis? Kann der Gott eines Volkes die Verehrung eines anderen an sich reißen?« Dann schien der Priester nicht mehr auf sie zu achten. Er langte in den Saum eines Ärmels und holte eine Näscherei für die Krähe heraus, die sogleich auf sein Handgelenk flog, um nach dem Leckerbissen zu picken. Als Molin wieder etwas sagte, klang seine Stimme ruhig.
»Ich kam mit dem Prinzen hierher, um einen Tempel zu errichten. In Ranke raunte man von Krieg mit den Nisibisi, und es war keine gute Zeit für einen Baumeister-Priester. Ich wollte lieber die Grundmauern für einen Tempel legen, als die Mauern einer Stadt unterhöhlen.
Es hätte hier ruhig sein sollen, und Vashankas Aufmerksamkeit dem Norden zugewandt, dem Krieg und den Armeen, er war jedoch fast von Anfang an hier, und das habe ich nie verstanden.
Jetzt geht der Krieg weiter, doch ohne Sieg. Die Streitkräfte sind mutlos und rebellisch. Sie haben den Kaiser getötet, seine Familie und meine – alle Angehörigen, deren sie habhaft werden konnten. Jetzt führt Theron den Krieg, doch er hat ebensowenig Glück, vielleicht hatte es nicht daran gelegen, daß der Kaiser ein schlechter Feldherr war, sondern daran, daß in einem vergessenen Winkel des Reiches ein rankanischer Gott verbannt wurde.
Mir blieb es, diese Kloake von Stadt zu regieren, weil niemand sonst daran interessiert oder dazu fähig ist. Mein Tempel wurde nie erbaut und wird es auch jetzt nicht mehr. Mein Prinz, der einzige rechtmäßige Erbe des Kaiserthrons, ist von einer unerschütterlichen Naivität, und es gibt zweitausend Beysiber in Freistatt, Schlangen, Vögel und Fischer nicht mitgerechnet, die vorhaben mit ihrer Kaiserin, ihrem Gold und ihren abscheulichen Sitten hier zu warten, bis ihre Göttin sich dazu aufrafft, einen Krieg zu gewinnen, den diese Beysiber zu Hause mit ihren eigenen Händen und Waffen nicht gewinnen konnten!«
Seine Stimme hob sich wieder und erschreckte die Krähe so sehr, daß sie in die fütternde Hand zwischen Daumen und Zeigefinger hackte.
»In letzter Zeit ist mir klargeworden, daß ich nicht in meine Heimat zurückkehren kann«, sagte er nun leiser und verband die Wunde mit einem Ärmelstreifen. »Oder vielmehr, ich muß mich damit abfinden, daß Freistatt – dieser verfluchteste Ort aller Schöpfung – bis zu meinem Ende mein Zuhause sein wird. Mein Traum, im Tempel des Gottes, in dem ich geboren wurde, selig zu sterben, wird sich nicht erfüllen. Bedeutet den S’danzo ihr Geburtshaus viel? Ich erblickte das Licht der Welt in Vashankas Tempel in Ranke. Mein Ich ist eins mit diesem Tempel. Ein Teil von mir – meine Augen, mein Herz und was auch immer – hat sich seit meiner Geburt nicht verändert und gehört mehr diesem Tempel als mir. Aber jetzt, seht, hackt der Vogel nach mir, Blut fließt und neue Haut bildet sich. Freistätter Haut, Illyra. Für mich wird es immer ein sehr kleiner Teil sein, aber für Euch – ist Freistatt nicht in Euch, so, wie das S’danzo- Gesicht in Euch ist?«
Er hatte sie dazu gebracht, auf seine Wunde zu sehen, und bemühte sich, sie mit seinen besten Argumenten zu überzeugen, wie er es vor dem Kaiser getan hätte. Er blickte sie eindringlich an.
»Illyra, wenn Ihr mir nicht helfen wollt, kann ich Freistatt nicht helfen, dann ist es auch egal, ob Ihr Euren Sohn rettet. Benutzt das Zweite Gesicht, um Euch umzusehen. Es gibt hier Hoffnung und Bedürfnis; wo Vashanka regierte, herrscht jetzt eine große Leere …«
Illyra wich abrupt vor ihm zurück. »Die S’danzo haben keine Götter. Es ist uns gleichgültig, welche Gyskourem zum Gyskouras werden, dem neuen Gott, den andere anbeten werden.«
»Ehe Vashanka verbannt wurde, führte ich ein großes Ritual für ihn durch, um seine Verehrung hier zu weihen, um Freistatt in seinen Augen würdig zu machen – und, um ehrlich zu sein, um seine Macht in die richtige Bahn zu lenken. Ich veranstaltete das Fest des Zehntodes und den Tanz der Azyuna. (11)
Das Mädchen war eine im Tempel in Ranke ausgebildete Sklavin, und Vashanka war der Kaiserliche Prinz höchstpersönlich.
Das war möglicherweise das größte Opfer, das ich dem Gott darbrachte, und mein
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