Sturm ueber roten Wassern
der Vater der Stürme, der Herr der Gierigen Wasser, hat das so bestimmt. Er hat eine Abmachung mit den Frauen getroffen, die auf dem Land leben; jedes Schiff, das nicht mindestens ein weibliches Besatzungsmitglied an Bord hat, wird gnadenlos von ihm zerschmettert. Außerdem gebietet es die Vernunft. Frauen geben schon ganz ordentliche einfache Matrosen ab, doch als Offiziere sind sie euch und sogar mir überlegen. So haben die Götter sie nun mal gemacht.
Zweitens bringt es unweigerlich Pech, wenn man ohne Katzen in See sticht. Sie sind nicht nur äußerst nützlich, weil sie Ratten töten, sondern sie sind obendrein die stolzesten Kreaturen, die es gibt, zu Land wie zu Wasser. Iono bewundert die kleinen Biester. Ein Schiff mit Frauen und Katzen an Bord ist für alle Gefahren bestens gerüstet. Da die Jolle, auf der wir üben werden, jedoch so klein ist, dachte ich mir, wir kommen ausnahmsweise mal ohne Frauen aus. Fischer und Hafenboote haben auch nicht immer weibliche Besatzungsmitglieder, und sie kommen auch heil wieder zurück – meistens jedenfalls. Doch mit euch beiden als einzigen Gasten müsste ich ja verrückt sein, wenn ich nicht wenigstens eine Katze mitnähme. Eine kleine genügt für ein kleines Boot.«
»Also … müssen wir uns um dieses Kätzchen kümmern, während wir auf dem Wasser unser Leben riskieren?«
»Eher werfe ich euch über Bord, als diese Katze zu verlieren, Kosta.« Caldris gluckste in sich hinein. »Wenn ihr mir nicht glaubt, dann stellt mich doch auf die Probe. Aber macht euch nicht gleich in die Hosen; die Katze bleibt in dem geschlossenen Korb.«
Bei der Erwähnung des Korbes schien er sich an etwas zu erinnern. Er griff noch einmal hinein und förderte einen kleinen Brotlaib und ein silbernes Messer zutage. An der Brotkruste bemerkte Locke viele kleine Einkerbungen, die ungefähr so groß waren wie das Maul der kleinen Kreatur, die sich mächtig anstrengte, ihm aus den Armen zu schlüpfen. Caldris schien es nichts auszumachen, dass die Katze das Brot bereits angeknabbert hatte.
»Meister de Ferra, strecken Sie Ihre rechte Hand aus, und geben Sie keinen Mucks von sich.«
Jean hielt Caldris seine Rechte entgegen. Ohne zu zögern, ritzte der Segelmeister die Innenfläche mit dem Messer auf. Der massige Kerl zuckte nicht mit der Wimper, und Caldris gab einen Grunzlaut von sich, als sei er angenehm überrascht. Er drehte Jeans Hand um und beschmierte das Brot mit dem Blut, das aus der Schnittwunde tropfte. »Jetzt sind Sie an der Reihe, Meister Kosta. Halten Sie das Kätzchen gut fest. Es bringt Unglück, wenn ich das Tier versehentlich verletze. Außerdem ist es bewaffnet, vorn und achtern.«
Einen Moment später brachte Caldris Locke einen oberflächlichen, aber schmerzhaften Schnitt bei, und dann presste er den Brotlaib gegen die Wunde, als wolle er die Blutung stillen. Als er fand, Locke habe genug Blut verloren, schmunzelte er, trat an den Rand des gepflasterten Platzes und blickte über das Wasser. »Ich weiß, dass ihr zwei als Passagiere auf einem Schiff gefahren seid«, erklärte er, »aber Passagiere zählen nicht. Passagiere sind nicht beteiligt. Aber jetzt werdet ihr in den Bordbetrieb einbezogen, und deshalb muss alles seinen geregelten Gang gehen.« Er räusperte sich, kniete vor der Wasserlinie nieder und hob die Arme. In einer Hand hielt er den Brotlaib, in der anderen das silberne Messer. »Iono! Vater der Stürme! Herr der Gierigen Wasser! Dein Diener Caldris bal Comar ruft dich an. Lange hat es dir gefallen, deinem Diener Gnade zu erweisen, und dieser Diener kniet nun vor dir, um dir zu huldigen. Sicherlich weißt du, dass hinter der Kimm ein total beschissener Schlamassel auf ihn wartet.«
Er warf das blutige Messer in die Bucht und fuhr fort: »Das ist das Blut von Landbewohnern. Alles Blut ist Wasser. Alles Blut gehört dir. Dieses Messer besteht aus Silber, aus dem Metall des Himmels, der wiederum das Wasser berührt. Dein Diener opfert dir Blut und Silber, um seine Ergebenheit zu zeigen.« Er nahm den Brotlaib in beide Hände, riss ihn in zwei Hälften und schmiss sie ins Wasser. »Dies ist das Brot von Landbewohnern, und das Brot brauchen sie zum Leben! Auf See gehört alles Leben dir. Auf See bist du der Einzige, der Gnade gewähren kann. Gib deinem Diener günstige Winde und freie Wasser, Herr. Habe Erbarmen, wenn er in deinem Reich unterwegs ist. In den Wogen zeige ihm die Allmacht deines Willens und lass ihn sicher heimkehren. Heil dir, Iono, Herr
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