Sturm ueber roten Wassern
ihre Zellen haben Fenster. Schuldner werden freigelassen, sowie ihre Schulden beglichen sind. Kriegsgefangene dürfen nach Hause gehen, wenn der Krieg vorbei ist. Doch ihr armen Kerle … euch sperrt man hier ein für den Fall, dass man euch braucht. Wie Vieh. Gibt es einen Krieg, kettet man euch an Riemen, und solange kein Krieg ausbricht … nun ja.« »Irgendwo gibt’s immer Krieg«, meinte Jabril.
»Der letzte liegt sieben Jahre zurück«, erwiderte Locke. Er trat dicht an das Gitter heran und sah Jabril direkt in die Augen. »Vielleicht dauert es noch einmal sieben Jahre, bis jemand einen Streit vom Zaun bricht. Vielleicht bleibt der Frieden ja auch für immer und ewig stabil. Wollt ihr wirklich in diesem Kerker alt werden, Jabril?« »Was bleibt uns denn anderes übrig … Käpt’n?«
»Ein paar von euch kommen von einem Schiff, das erst kürzlich beschlagnahmt wurde«, sagte Locke. »Euer Kapitän hat versucht, ein Nest mit Stilettwespen einzuschmuggeln.«
»Die Gunst des Schicksals, aye«, bestätigte Jabril. »Für diesen Job hat man uns eine Menge Gold versprochen.«
»Die verfluchten Dinger haben unterwegs acht Leute getötet«, warf ein anderer Gefangener ein. »Wir dachten, deren Anteile würden auf uns übertragen.« »Wie sich dann herausstellte, hatten diese Jungs mehr Glück als wir«, kommentierte Jabril. »Sie mussten nicht in diesem Drecksloch hausen.«
»Die Gunst des Schicksals liegt in der Schwert-Marina vor Anker«, erzählte Locke. »Sie wurde in Roter Kurier umgetauft. Überholt, neu ausgerüstet, ausgeräuchert und mit frischem Anstrich. Man hat sie richtiggehend aufgemotzt. Der Archont plant, sie in seinen Dienst zu stellen.« »Wie schön für den verdammten Archonten.«
»Ich übernehme das Kommando«, fuhr Locke fort. »Das Schiff untersteht mir, und ich kann darüber verfügen.« »Was zur Hölle willst du dann hier?«
»Es ist eine halbe Stunde nach Mitternacht.« Locke senkte seine Stimme zu einem dramatischen Flüstern, das bis in den letzten Winkel der Zelle drang. »Die morgendliche Wachablösung trifft erst in sechs Stunden ein. Und jeder Wachposten auf dem Amwind-Felsen ist … derzeit … bewusstlos.«
Jetzt sperrten sie alle Mund und Augen auf. Die Kerle hievten sich von ihren Strohlagern hoch und rückten näher an das Gitter heran, einen ungestümen, aber aufmerksamen Pulk bildend.
»Heute Nacht verlasse ich Tal Verrar«, fuhr Locke fort. »Danach werde ich diese Uniform nie wieder tragen. Ich bin fertig mit dem Archonten und allem, was er verkörpert. Ich will die Roter Kurier kapern, und dazu brauche ich eine Mannschaft.« Unter den Gefangenen brach die Hölle los; sie schubsten einander hin und her, und alle redeten aufgeregt durcheinander. Durch die Gitterstäbe reckten sich Locke Hände entgegen, und er wich einen Schritt zurück.
»Ich bin Toppgast!«, brüllte ein Mann, »und zwar ein sehr guter! Nehmen Sie mich mit!« »Neun Jahre auf See!«, schrie ein anderer, »… ich kann jede Arbeit!«
Jean trat vor, hämmerte wieder mit der Faust gegen die Zellentür und donnerte:
»RUHEEEE!«
Locke hielt den Schlüsselbund hoch, den Jean dem Leutnant im Eingangsbereich abgenommen hatte.
»Ich segle in das südliche Messing-Meer«, fuhr er fort. »Mein Ziel ist Port Prodigal.
Und daran wird sich nichts ändern. Wer mit mir kommt, der segelt unter der roten Flagge. Wer von Bord gehen will, wenn wir den Geisterwind-Archipel erreichen, dem steht es frei abzumustern. Doch bis dahin befinden wir uns auf der Jagd nach Geld und Prisen. Für Drückeberger ist auf meinem Schiff kein Platz. Jeder bekommt denselben Anteil an der Beute.«
Das würde den Männern Stoff zum Nachdenken geben, sagte sich Locke.
Üblicherweise beanspruchte ein Freibeuterkapitän zwei bis vier Anteile von zehn für jede aufgebrachte Prise. Allein die Vorstellung, dass jeder an Bord den gleichen Anteil bekäme, würde das Risiko einer Meuterei beträchtlich verringern.
»Gleiche Anteile«, wiederholte er dröhnend, um das erneut ausbrechende Stimmengewirr zu übertönen. »Aber ihr müsst euch hier und jetzt entscheiden.
Schwört euch auf mich als euren Kapitän ein, und ich hole euch sofort hier raus. Ich kann euch von diesem Felsen wegschaffen und an Bord der Roter Kurier bringen.
Solange es noch dunkel ist, verlassen wir den Hafen und segeln davon. Wenn ihr meinen Vorschlag ablehnt – nun gut. Aber erwartet nicht von mir, dass ich irgendetwas für euch tue. Wenn wir gehen, bleibt ihr
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