Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
Vom Netzwerk:
reichte fürs Erste.
    »Gibt es jemanden, der mit diesem Schiff nicht vertraut ist, aber trotzdem auf entern kann?«
    Vier weitere Männer meldeten sich, und Locke nickte. »Ihr seid wackere Jungs! Dann wisst ihr ja, wo eure Positionen sind.« Einen der Matrosen, der nicht zu den Toppgasten gehörte, packte er bei der Schulter und schob ihn zum Bug. »Du bist der Ausguck vorn. Gib mir Bescheid, wenn irgendetwas Ungewöhnliches auftaucht.« Er schnappte sich einen anderen Mann und deutete auf den Großmast. »Lass dir von Caldris ein Fernrohr geben; vorläufig hältst du Ausguck im Masttopp. Sieh mich nicht so an – mit dem Segelsetzen hast du nichts zu tun. Du musst nur still da oben sitzen und dich bemühen, nicht einzuschlafen.
    Meister Caldris!« bellte er, als er sah, dass der Segelmeister wieder an Deck war, »Südost zu Ost durch die Riffpassage, die man Glasbresche nennt!«
    »Aye, Käpt’n, die Glasbresche. Ich kenne die Passage.« Selbstverständlich hatte Caldris ihren Kurs durch die Glasriffe vorher abgesteckt und mit Locke die Befehle geübt, die er geben musste, bis sie außer Sicht von Tal Verrar waren. »Südost zu Ost.«
    Jean zeigte auf die elf Männer, die sich freiwillig für die Arbeit auf den Rahen gemeldet hatten, an denen die eingerollten Segel im Mondlicht herunterhingen wie dünne Kokons riesenhafter Insekten. »Toppgasten aufentern! Legt aus! Losbinden Marssegel und Bramsegel! Wartet auf mein Kommando!« Behände balancierten die Toppgasten auf den Fußpferden der Rahen nach außen. Sie lösten die Leinen, mit denen die Segel an die Rahen gebunden waren, und hielten das Tuch mit beiden Armen fest. »Lasst fallen!«, brüllte Jean, und die Segel bauschten sich von den Rahen herab.
    »Meister Caldris!«, rief Locke, der seine Begeisterung nicht verbergen konnte. »Zeigen Sie uns, ob Sie Ihr Handwerk verstehen!«
    Unter Marssegeln und Bramsegeln glitt die Roter Kurier nach Süden, die steife Westbrise nutzend, die vom Festland her blies. Ihr Bug pflügte glatt durch das ruhige, dunkle Wasser, und das Deck unter ihnen krängte leicht nach steuerbord. Es war ein guter Anfang, dachte Locke – ein geglückter Auftakt zu einem irrsinnigen Abenteuer.
    Nachdem er den meisten Besatzungsmitgliedern vorläufige Ränge zugeteilt hatte, gönnte er sich eine kurze Atempause an der Heckreling und beobachtete, wie die beiden Monde sich im sanft gekräuselten Kielwasser der Kurier spiegelten.
    »Sie genießen das alles in vollen Zügen, Käpt’n Ravelle.« Jean trat neben ihn an die Reling. Die beiden Diebe schüttelten sich die Hände und grinsten einander an.
    »Das stimmt«, flüsterte Locke. »Ich glaube, das ist das Verrückteste, was wir je getan haben, und deshalb ist es verdammt noch mal unser gutes Recht, uns zu amüsieren.«
    »Die Besatzung scheint dich zu akzeptieren. Offenbar hat keiner was gemerkt.«
    »Nun, die Männer kommen gerade aus dem Kerker. Sie sind erschöpft, unterernährt, aufgeregt. Mal sehen, wie gewitzt sie sind, wenn sie erst ein paar Tage lang ordentlich gegessen und körperlich schwer gearbeitet haben. Oh Götter, wenigstens habe ich keine falschen Begriffe benutzt.«
    »Ich kann es immer noch nicht fassen, was wir hier tun.«
    »Geht mir genauso. Es kommt mir alles so unwirklich vor. Kapitän Ravelle. Erster Maat Valora. Zur Hölle, du machst es dir leicht. Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass die Leute mich mit ›Orrin‹ ansprechen. Du bleibst einfach ›Jerome‹.«
    »Ich sehe keinen Sinn darin, meine Situation komplizierter zu machen, als sie ohnehin schon ist. Du sorgst schon dafür, dass mir nie die Probleme ausgehen.«
    »Vorsicht! Ich kann den Befehl geben, dich an die Reling zu binden und auszupeitschen.«
    »Ha! Ein Marinekapitän könnte das vielleicht. Aber der Erste Maat auf einem Piratenschiff braucht sich so was nicht gefallen zu lassen.« Jean seufzte. »Glaubst du, dass wir je wieder Land sehen werden?«
    »Verdammt will ich sein, wenn wir das nicht schaffen!«, entgegnete Locke. »Wir haben noch eine Menge vor! Wir müssen ein paar Piraten den Arsch aufreißen, eine glückliche Heimkehr arrangieren, Stragos in den Dreck treten, ein Gegengift finden und Requin bis aufs Hemd ausrauben. Nach zwei Monaten auf See kommt mir vielleicht auch zumindest im Ansatz eine Idee, wie wir das alles bewerkstelligen können.«
    Eine Zeit lang blickten sie auf Tal Verrar, das achtern davonglitt; die wie in einer Aura strahlende Goldene Treppe und der wie eine Fackel

Weitere Kostenlose Bücher