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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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zu beschützen, obwohl ich dir für diesen Fall den Tod angedroht hatte.«
    »Raffiniert«, entgegnete Locke, der spürte, wie seine Wangen sich langsam erwärmten.
    »Das war also der Sinn der Übung.«
    »Mehr oder weniger. Ich muss wissen, was für ein Mensch du bist, ehe ich mich entscheide, was aus dir werden soll.« »Und wie lautet Ihr Urteil?«
    »Du bist rücksichtslos, eitel und gerissener, als dir guttut«, erwiderte sie. »Du bildest dir ein, dass deine Winkelzüge und deine Eloquenz charmant sind. Und genau wie Jerome wärst du bereit, dein Leben zu opfern, um einem Freund zu helfen.«
    »Na ja«, äußerte er gedehnt, »im Laufe der Jahre habe ich diesen hässlichen Fleischkloß eben lieb gewonnen. Und wie werden Sie jetzt mit uns verfahren? Sperren Sie uns wieder in die Last, oder werden wir einfach ins Meer geworfen?«
    »Weder noch«, erklärte Drakasha. »Ihr kommt aufs Vordeck, wo ihr zusammen mit der Besatzung der Roter Kurier essen und schlafen werdet. Eure anderen Lügen werde ich auch noch aufdröseln, sowie ich die Zeit finde, mich mit diesen Märchen zu befassen. Fürs Erste bin ich jedoch davon überzeugt, dass du dich vernünftig benehmen wirst, solange Jerome bei dir ist.«
    »Und was sind wir jetzt? Sklaven?«
    »An Bord dieses Schiffes gibt es keine Sklaven!«, entgegnete Drakasha mit gefährlich scharfer Stimme. »Wenn sich jedoch ein Klugscheißer aufzuspielen versucht, machen wir mit ihm kurzen Prozess. Es gibt eine schöne Hinrichtung, und damit basta!«
    »Ich dachte, meine Eloquenz sei charmant.«
    »Merke dir eines«, fuhr Drakasha warnend fort. »Deine ganze Welt besteht aus den paar Zoll Decksplanken, die ich dir zugestehe, und du hast verdammtes Glück, dass ich noch so gnädig mit dir umspringe. Auf dem Vordeck werden Ezri und ich euch allen erklären, wie die Dinge hier laufen.«
    »Und unsere Sachen? Die Papiere, meine ich … die persönlichen Dokumente? Das Gold dürfen Sie behalten, aber …«
    »Ich darf es behalten? Ist das dein Ernst? Was ist dieser Mann doch für ein Schatz, Ezri.« Mit der rechten Stiefelspitze klappte Drakasha den Deckel von Lockes Seekiste zu. »Eure Papiere betrachte ich als eine Art Garantie, dass ihr euch anständig benehmen werdet. Mir sind die leeren Pergamentblätter ausgegangen, und ich habe zwei Kinder, die kürzlich entdeckt haben, welchen Spaß man mit Tinte haben kann.«
    »Ich verstehe.«
    »Ezri, bring sie in die Kühl, und nimm ihnen die Handfesseln ab. Und danach tun wir wieder so, als hätten wir etwas Wichtiges vor.«
2
     
     
    Auf dem Achterdeck begegneten sie einer abgehetzt aussehenden Frau in mittleren Jahren; sie war klein, stämmig, und ein Schopf aus fingerlangen weißen Haaren umrahmte ihr zerfurchtes Gesicht, das offensichtlich jahrelang nichts anderes getan hatte, als finster dreinzuschauen. Der Blick in ihren großen, stechenden Augen flackerte ständig hin und her, wie bei einer Eule, die sich nicht entscheiden kann, ob sie gelangweilt ist oder hungrig.
    »Ihr habt da einen Haufen Elendsgestalten aufgegabelt, wie es schlimmer nicht sein könnte«, schnauzte sie übergangslos.
    »Vielleicht ist dir was entgangen, aber in letzter Zeit sind fette Prisen gewaltig aus der Mode gekommen.« Zamira reagierte auf das ruppige Benehmen der Frau mit einem Gleichmut, der auf langjährige Vertrautheit schließen ließ.
    »Nun ja, wenn man einem Seiler schlechten Hanf gibt und von ihm verlangt, daraus Taue zu schlagen, darf man ihm später keinen Vorwurf machen, wenn sie reißen.«
    »Ich käme nie auf den Gedanken, dir überhaupt jemals Vorwürfe zu machen, Magister.
    Dann hätten wir alle wochenlang nichts zu lachen. Wie viele?«
    »Achtundzwanzig lagern auf dem Vordeck«, erwiderte die Frau. »Acht mussten wegen Knochenbrüchen auf der Prise bleiben. Es wäre zu gefährlich gewesen, sie überzusetzen.«
    »Werden sie bis Port Prodigal durchhalten?«
    »Vorausgesetzt, das Schiff sinkt vorher nicht. Vorausgesetzt, sie halten sich an meine Anweisungen, was ich allerdings zu bezweifeln wage …«
    »Mehr können wir nicht für sie tun, da bin ich mir sicher. In welcher Verfassung sind die achtundzwanzig Matrosen?«
    »Sie haben doch sicher gehört, dass ich von ›Elendsgestalten‹ sprach. Damit meine ich, dass sie zum Teil ausgemergelt sind bis aufs Skelett. Ich könnte ein paar wissenschaftliche Ausdrücke benutzen, um ihren Gesundheitszustand zu beschreiben, aber ich wüsste nicht, wozu das gut sein soll …«
    »Treganne, mit

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