Sturm ueber roten Wassern
meiner Geduld ist es wie mit deiner Schönheit – von beidem ist nichts mehr übrig!«
»Also gut. Die meisten Männer leiden noch immer an den Auswirkungen einer langen Kerkerhaft. Schlechtes Essen, keine Bewegung – sie sind körperlich wie nervlich am Ende. Seit sie Tal Verrar verlassen haben, wurden sie besser verpflegt, aber sie sind immer noch schwach und zu kaum etwas zu gebrauchen. Eine Handvoll ist in einer ganz guten Verfassung. Aber genauso viele sind dermaßen heruntergekommen, dass sie überhaupt nicht arbeiten dürfen. Und von diesem Urteil rücke ich nicht ab … Käpt’n.«
»Das habe ich auch nicht von dir verlangt. Irgendwelche Krankheiten?« »Nein – wenn du Fieber und etwas Ansteckendes meinst. Offen gestanden wundert mich das. Außerdem leiden offenbar nur sehr wenige an irgendwelchen Geschlechtskrankheiten. Die Männer waren monatelang von Frauen getrennt, und die meisten von ihnen kommen aus Ost-Therin. Dort ist die Neigung, dass Männer es mit Männern treiben, nicht sehr ausgeprägt, wie Sie wissen.« »Ihr Pech. Falls ich dich noch brauchen sollte …«
»Sie finden mich in meiner Kajüte. Und geben Sie auf Ihre Kinder acht. Es scheint, als steuerten sie das Schiff.«
Als die Frau davonstapfte, starrte Locke ihr hinterher. Eines ihrer Beine machte auf den Decksplanken ein hohles, hölzernes Geräusch, und sie bediente sich eines seltsamen Gehstocks, der aussah, als bestünde er aus aufeinandergestapelten weißen Zylindern. Elfenbein? Nein – das Rückgrat irgendeiner unglücklichen Kreatur, dessen Wirbel mit glänzenden Metallnähten aneinandergeschweißt waren. Drakasha und Delmastro marschierten zum Steuer des Schiffs, das ebenso aus zwei Rädern bestand wie die Anlage auf der Kurier. Am Ruder stand zurzeit ein ungewöhnlich groß gewachsener junger Mann mit kantigen Zügen und einer schlaksigen Figur. Rechts und links von ihm hielten sich Paolo und Cosetta auf, die zwar das Rad nicht berührten, doch ausgelassen kichernd jede Bewegung des Rudergängers nachahmten.
»Mumchance!« Drakasha ging zu dem Mann und zog Cosetta vom Steuer weg. »Wo steckt Gwillem?«
»Auf dem Abtritt.«
»Ich habe ihm ausdrücklich gesagt, dass er auf die Kinder aufpassen soll«, betonte Ezri.
»Ich reiß ihm die Augen aus dem Schädel«, knurrte Drakasha.
Mumchance zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Pissen muss jeder mal, Käpt’n.«
»Pissen«, murmelte Cosetta.
»Sei still!« Zamira fasste um Mumchance herum und schnappte sich auch Paolo.
»Mum, du weißt doch ganz genau, dass die Kinder weder das Steuer oder die Reling anfassen dürfen.«
»Sie haben das Rad nicht angerührt, Käpt’n.«
»Aber sie dürfen auch nicht in deiner Nähe herumhampeln, sich an deine Beine klammern oder dir in irgendeiner Weise beim Rudergehen helfen. Ist das klar?«
»Hab schon kapiert.«
»Paolo«, sagte Drakasha zu dem Jungen, »bring deine Schwester in die Kajüte zurück und wartet dann dort auf mich.«
»Ja«, antwortete der Junge mit einer Stimme, die nicht lauter war als zwei Blatt Papier, die aneinanderreihen. Er nahm Cosetta an die Hand und führte sie nach achtern.
Drakasha eilte wieder nach vorn, vorbei an kleinen Gruppen von Matrosen, die arbeiteten oder aßen; jeder einzelne dieser Seemänner nickte oder winkte ihr respektvoll zu. Ezri folgte dicht hinter ihr, Locke und Jean mit sich bugsierend.
In der Nähe des Hühnerstalls begegnete Drakasha einem rundlichen, munter wirkenden Vadraner, der etwas älter sein mochte als sie. Der Mann trug ein stutzerhaftes schwarzes Jackett mit Schließen aus fleckig angelaufenem Messing; das angegraute, blonde Haar war zu einem welligen Pferdeschwanz zusammengebunden, der ihm bis zum Hosenboden reichte. Mit der Linken packte Drakasha ihn an der Tunika.
»Gwillem, hat Ezri sich nicht deutlich genug ausgedrückt, als sie dir sagte, du sollst ein Weilchen die Kinder hüten? Was gab es daran misszuverstehen?«
»Ich ließ sie bei Mum, Käpt’n …«
»Es war deine Aufgabe, sich um sie zu kümmern, und nicht die von Mum.«
»Na ja, Sie vertrauen ihm das Ruder an, warum sollten Sie ihm dann nicht Ihre Kinder…«
»Ich würde ihm durchaus meine Lieblinge anvertrauen, Gwillem. Aber ich hasse es, wenn man meine Befehle missachtet.«
»Käpt’n«, entgegnete Gwillem mit gesenkter Stimme, »ich musste ganz dringend scheißen. Ich hätte die beiden mit auf den Abtritt nehmen können, doch was sie dort zu sehen bekommen hätten, wäre sicher nicht in Ihrem
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