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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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einer Entfernung von dreißig Yards an.
    »Die Golden Gain – aus Tal Verrar«, wurde mittschiffs von der Galeone zurückgerufen.
    »Wollt ihr in den Hafen einlaufen?«
    »Nein! Wir möchten lediglich in einem Beiboot Passagiere absetzen.«
    In der tief im Achterschiff liegenden Kabine stank es nach Krankheit und Schweiß.
    Jean Tannen kam gerade vom Oberdeck zurück und konnte die säuerlichen Ausdünstungen nicht länger ertragen, was seine ohnehin schon miese Stimmung noch verschlechterte. Er warf Locke eine geflickte blaue Tunika zu und verschränkte die Arme.
    »Verdammt noch mal!«, grollte er. »Wir sind endlich an unserem Ziel eingetroffen.
    Den Göttern sei Dank, dass wir von diesem beschissenen Schiff runterkommen und wieder einen Fuß auf schöne, harte Steine setzen können. Zieh sofort die Tunika an, sie lassen ein Boot zu Wasser.«
    Mit der rechten Hand schüttelte Locke die Tunika aus und runzelte die Stirn. Nur in Unterzeug hockte er auf der äußersten Kante einer Koje und war dünner und schmutziger, als Jean ihn je gesehen hatte. Unter der bleichen Haut stachen die Rippen hervor wie die Spanten eines im Bau befindlichen Schiffs. Sein ungewaschenes Haar wirkte dunkel vor Fett, und es hing an den Seiten in langen, zotteligen Strähnen herunter. Ein dünner, stoppeliger Bart rahmte das spitze, blasse Gesicht ein.
    Der Oberarm war übersät mit den glänzenden roten Narben kaum verheilter Wunden; ein verschorfter Einstich war am linken Unterarm zu sehen, und das Handgelenk steckte in einem schmuddeligen Verband. Die linke Hand war ein einziger, sich mittlerweile ins Gelbliche verfärbender Bluterguss. Eine fleckige Bandage bedeckte teilweise eine hässlich aussehende Verletzung an seiner linken Schulter, nur wenige Zoll über dem Herzen. Während der drei Wochen auf See waren die Schwellungen an Lockes Wangen, den Lippen und der gebrochenen Nase weitgehend zurückgegangen, trotzdem sah er immer noch aus, als hätte ein Maultier ihn ins Gesicht getreten, und zwar mehrere Male.
    »Kannst du mir helfen?«
    »Nein, du musst dich schon selbst anziehen. In der letzten Woche hättest du mit den Übungen anfangen müssen, um dich fit zu machen. Ich kann nicht dauernd bei dir hocken und dich betutteln, als wäre ich dein verdammtes Kindermädchen.«
    »Tja, am liebsten würde ich dir ein beschissenes Rapier durch die Schulter stoßen und dann ein bisschen in der Wunde herumstochern. Mal sehen, wie schnell du dann bereit bist, irgendwelche Gymnastikübungen zu machen.«
    »Ich habe Verletzungen abgekriegt, du Jammerlappen, doch im Gegensatz zu dir war ich immer bestrebt, meine Kräfte schnellstmöglich wiederzuerlangen.« Jean hob seine Tunika; oberhalb der wesentlich kleiner gewordenen Wölbung seines einst beachtlichen Schmerbauchs zog sich die feuerrote Narbe einer Schnittwunde entlang, die quer über die Rippen verlief. »Und wenn es noch so wehtut, ich trainiere eisern und lasse mich nicht hängen. Du musst dich ständig in Bewegung halten, andernfalls verwächst die Narbe, und das Gewebe wird so fest wie kalfatertes Werg. Dann hast du wirklich ein Problem.«
    »Damit liegst du mir dauernd in den Ohren.« Locke warf die Tunika neben seine bloßen Füße auf den Boden. »Doch wenn dieser Fetzen kein Eigenleben entwickelt und sich mir überstülpt und du dich hartnäckig weigerst, mir zu helfen, muss ich so wie ich bin von Bord gehen.«
    »Die Sonne geht schon unter. Es ist zwar Sommer, aber draußen wird es kühl sein.
    Doch wenn du darauf bestehst, dich zum Gespött der Leute zu machen, werde ich dich nicht daran hindern.«
    »Weißt du was, Jean? Du bist ein verfluchter Hurensohn!«
    »Wenn du gesund wärst, würde ich dir dafür glatt noch mal die Nase brechen, du wehleidiger kleiner Wicht …«
    »Meine Herren?« Durch die Tür drang die gedämpfte Stimme einer Matrosin, gefolgt von einem lauten Klopfen. »Der Kapitän lässt Sie schön grüßen, das Boot liegt bereit.«
    »Danke!«, brüllte Jean. Er fuhr sich mit einer Hand durch den Haarschopf und seufzte.
    »Wieso hab ich mir eigentlich den Arsch aufgerissen, um dir wieder einmal das Leben zu retten? Statt deiner Elendsgestalt hätte ich lieber die Leiche des  Grauen Königs mit aufs Schiff nehmen sollen! Der wäre eine angenehmere Gesellschaft gewesen!«
    »Bitte«, drängte Locke und gestikulierte mit seinem unversehrten Arm. »Lass uns einen Kompromiss schließen. Ich benutze beim Anziehen meinen gesunden Arm, so gut ich kann, und wenn die

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