Sturm ueber roten Wassern
-Rotwein ergoss sich über ein paar in der Nähe herumlungernde Burschen.
Jeans Äxte hatten die Schläuche exakt in der Mitte aufgespießt und steckten nun ohne zu vibrieren in der Holzwand.
»Das ist eine Bedrohung!«, erklärte er und ließ die Fingerknöchel knacken. »Und deshalb arbeitet ihr von nun an für mich. Gibt es jemanden, der das jetzt noch infrage stellen möchte?«
Die Jungen, die den Weinschläuchen am nächsten standen, wichen rasch zur Seite, als Jean hinging und seine Äxte aus der Wand riss. »Ich hatte auch nicht damit gerechnet.
Aber eines müsst ihr wissen«, fügte Jean mit Nachdruck hinzu. »Von diesem Arrangement profitieren beide Seiten – ich und ihr. Ein Boss muss seine Leute beschützen, wenn er ihr Anführer bleiben will. Wenn jemand anders außer mir euch herumschubst, dann gebt mir auf der Stelle Bescheid. Dann werde ich ein Wörtchen mit diesen Leuten reden. Dafür bin ich da.«
Am nächsten Tag stellten sich die Messing-Kerle widerwillig in einer Reihe auf, um ihre Steuern zu zahlen. Als der letzte Bursche in der Schlange seine Kupfermünzen in Jeans ausgestreckte Hände fallen ließ, murmelte er: »Du sagtest doch, du würdest uns helfen, wenn uns jemand schikaniert. Ein paar von den Messing-Kerlen wurden heute früh von den Schwarzen Ärmeln in die Mangel genommen – das ist eine Gang von der Nordseite.«
Jean nickte verstehend und steckte seine Einnahmen in eine Jackentasche.
Er stellte Nachforschungen an, und schon am folgenden Abend spazierte er in eine Spelunke auf der Nordseite, die den Namen »Der Randvolle Becher« trug. Das Einzige, womit die Kaschemme bis zum Überquellen gefüllt war, waren Schläger, mindestens sieben oder acht hundsgemein aussehende Typen, die allesamt schmuddelige schwarze Tücher um die Ärmel ihrer Röcke oder Tuniken gebunden hatten. Sie waren die einzigen Gäste, und sie blickten voller Argwohn hoch, als Jean die Tür hinter sich schloss und sorgsam den hölzernen Riegel vorschob.
»Guten Abend!« Er lächelte breit und ließ die Fingerknöchel knacken. »Ich bin neugierig. Wer ist das größte, brutalste Ekelpaket bei den Schwarzen Ärmeln?«
Anderntags trug er einen Breiumschlag auf den zerschundenen Knöcheln seiner rechten Hand, als er seine Steuern von den Messing-Kerlen einsammelte. Zum ersten Mal gaben die meisten Jungen nicht nur ohne zu zögern, sondern mit merklicher Begeisterung ihren Tribut ab. Ein paar fingen sogar an, Jean mit »Tav« anzusprechen.
4
Doch Locke machte nicht, wie versprochen, die Übungen, um seinen geschwächten Körper zu kräftigen.
Die wenigen Münzen, die ihm zur Verfügung standen, gab er für Wein aus, wobei er eine besonders billige einheimische Sorte bevorzugte. Dieses an Spülwasser erinnernde Nass war mehr violett als rot und roch nach Terpentin; schon bald verpestete dieser Gestank die Luft der schäbigen Kammer, die er zusammen mit Jean in der Silbernen Laterne bewohnte. Locke behauptete, er nähme dieses Gesöff zu sich, um seine Schmerzen zu bekämpfen. Eines Abends meinte Jean, gemessen an dem ständig steigenden Konsum dieser widerlichen Plörre müssten die Schmerzen wohl konstant stärker werden. Sie stritten sich – genauer gesagt wurde ihr Dauerstreit wieder einmal aufs Neue entfacht –, und Jean stapfte wütend in die Nacht hinaus, nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal.
Während ihrer ersten Tage in Vel Virazzo torkelte Locke an manchen Abenden die Treppe hinunter, die in die Gaststube führte, und gelegentlich spielte er dort mit irgendwelchen Ortsansässigen ein paar Runden Karten. Er betrog sie rücksichtslos mit jedem Taschenspielertrick, den er mit seiner unversehrten Hand durchziehen konnte.
Schon bald wurde er von den anderen Gästen wegen seiner Gaunereien und seines unmöglichen Benehmens gemieden, und er trat den Rückzug in die dritte Etage an, um sich systematisch allein zu betrinken. Essen und Sauberkeit blieben Nebensache. Jean schleppte einen Heiler an, der sich Lockes Wunden ansehen sollte; doch Locke vertrieb den Mann mit einer Salve von Flüchen, die Jean (der sich selbst einer Ausdrucksweise bedienen konnte, die von Obszönitäten nur so strotzte) die Schamesröte ins Gesicht trieb.
»Von deinem Freund kann ich keine Spur entdecken«, meinte der Mann.
»Anscheinend hat ihn einer dieser dünnen, haarlosen Affen von den Okanti-Inseln aufgefressen; er kann mich nur anschreien, mehr nicht. Was wurde aus dem letzten Heiler, der ihn behandelt
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