Sturm ueber roten Wassern
aus glänzenden Splittern stob durch den halben Raum, doch Locke verzog keine Miene. Er lehnte sich nur in seine mit Schweißflecken überzogenen Kissen zurück und seufzte.
»Hast du schon Zwillinge ergattert? Was ist mit einer neuen Sabetha? Einem zweiten Locke?«
»Fahr zur Hölle, du Dreckskerl!« Jean ballte die Fäuste, bis er spürte, wie das warme, klebrige Blut unter seinen Fingernägeln hervorquoll. »Zur Hölle mit dir! Ich habe nicht dein beschissenes Leben gerettet, damit du in dieser beschissenen Bude Trübsal bläst und so tust, als hättest du den Schmerz erfunden. Bilde dir bloß nicht ein, du wärst was Besonderes!«
»Aus welchem Grund hast du mich denn gerettet, Sankt Jean?«
»Was für eine blöde, idiotische, total hirnrissige Frage …«
»WARUM?« Locke stemmte sich vom Bett hoch und drohte Jean mit den Fäusten; die Pose hätte lächerlich gewirkt, wäre da nicht dieser mörderische Ausdruck in seinen Augen gewesen. »Ich sagte dir, du solltest mich zurücklassen! Soll ich dir etwa noch dankbar sein, dass ich diese elende Existenz führen muss? Ein Krüppel, der in einem elenden Kabuff dahinsiecht?«
»Ich habe dich nicht in dieses Kabuff gesperrt, Locke! Du selbst hast dich hier eingebunkert!«
»Dafür hast du mich gerettet? Drei Wochen lang bin ich mehr tot als lebendig in einem stinkenden Kahn übers Meer geschippert, nur um in Vel Virazzo zu landen, dem Arschloch von Tal Verrar? Dieser erbärmliche Winkel ist ein schlechter Witz der Götter, und die Pointe an dieser Posse bin ich. Zusammen mit dem Grauen König zu sterben wäre besser gewesen. Ich habe dich geradezu angefleht, mich zurückzulassen!«
Und dann flüsterte er so leise, dass Jean ihn kaum verstehen konnte: »Bei den Göttern, ich vermisse sie. Es ist meine Schuld, dass sie tot sind. Ich … ich komme einfach nicht darüber hinweg … ich halte das nicht mehr aus …«
»Untersteh dich!«, knurrte Jean. Er versetzte Locke einen heftigen Stoß gegen die Brust.
Locke fiel rückwärts auf sein Bett und prallte so hart gegen die Wand, dass die Fensterläden klapperten. »Wage es nicht, sie als Ausrede für das zu benutze n, was du dir selbst antust! Ich warne dich, mein Freund!«
Ohne ein weiteres Wort wirbelte Jean auf dem Absatz herum, marschierte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
5
Locke sank auf dem Bett zusammen, barg sein Gesicht in den Händen und lauschte dem Knarren von Jeans Schritten im Flur, die immer leiser wurden.
Zu seiner Überraschung kehrte das Knarren wenige Minuten später zurück und kam wieder näher. Jean riss die Tür auf, und erschrocken blickte Locke in sein grimmiges Gesicht; mit einem großen Holzeimer voller Wasser steuerte er schnurstracks auf das Bett zu. Ohne Vorwarnung kippte er ihn über Locke aus, der vor Verblüffung nach Luft schnappte und abermals nach hinten gegen die Wand fiel. Er schüttelte den Kopf wie ein Hund und strich sich die tropfnassen Haare aus den Augen.
»Jean, hast du jetzt auch noch den letzten kümmerlichen Rest deines ohnehin kleinen Verstandes …«
»Du brauchtest ein Bad«, schnitt Jean ihm das Wort ab. »Um deine verfluchte Wehleidigkeit von dir abzuwaschen!«
Er warf den Eimer weg und sammelte dann jede Flasche und jeden Weinschlauch ein, die noch nicht vollständig leer waren. Ehe Locke begriff, was er tat, hatte er sich sämtliche noch vorhandenen Weinvorräte gegriffen. Zum Schluss schnappte er sich Lockes Geldkatze, die auf dem kleinen Tisch lag, und legte stattdessen ein dünnes Lederpäckchen hin.
»Hey, Jean, du kannst doch nicht … das gehört mir!«
»Früher hieß es immer, das gehört uns«, erwiderte Jean kühl. »Das gefiel mir besser.«
Als Locke wieder versuchte, vom Bett aufzuspringen, stieß Jean ihn mühelos zurück.
Dann stürmte er ein zweites Mal aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Es gab ein seltsames klickendes Geräusch, und danach war überhaupt nichts mehr zu hören – nicht einmal das Knarzen von Dielenbrettern. Jean wartete direkt hinter der Tür.
Mit einem wütenden Aufschrei raste Locke quer durch das Zimmer und versuchte, die Tür aufzureißen, doch sie gab nicht nach. Verdutzt runzelte er die Stirn und ruckelte noch einige Male daran. Der Riegel befand sich auf der Innenseite und war nicht vorgeschoben.
»Es ist schon eine interessante Tatsache«, erklärte Jean draußen im Korridor, »dass die Zimmer der Silbernen Laterne von außen mit einem Spezialschlüssel abgesperrt
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