Sturm ueber roten Wassern
Glatzkopf von fast fünfzig Jahren; begleitet wurde er von seinem Leutnant, dessen Spitzname Jack der Ohrendieb war, weil er besiegten Feinden die Ohren vom Kopf zu trennen pflegte. Angeblich gerbte er sie und nähte kunstvolle Halsketten daraus, die er in seiner Kajüte unter Verschluss hielt.
Rance war da, wie üblich mit Valterro an ihrer Seite. Rances rechter Kiefer wies interessante Schattierungen von Schwarz und Grün auf, die einen beim Hinsehen zusammenzucken ließen, aber sie konnte aufrecht stehen und besaß immerhin genug Stil, um Zamira nicht wütend anzufunkeln, wenn sie glaubte, sie sähe gerade nicht hin. Zu guter Letzt hatte sich noch Jacquelaine Colvard eingefunden, die sogenannte »Alte Dame des Geisterwind-Archipels«, mit Mitte sechzig immer noch eine elegante Erscheinung, trotz ihrer grauen Haare und der sonnenverbrannten, ledrigen Haut. Ihr derzeitiger Protegé und demzufolge ihre Liebhaberin war Maressa Vicente, von deren Tüchtigkeit im Kampf und an den Segeln man sich allgemein noch kein Bild machen konnte. Kompetent genug sah die junge Frau jedoch aus.
Bis sich einer aus dieser Gruppe entfernte, waren sie völlig von der Außenwelt abgeschirmt. Mitglieder der verschiedenen Crews, ungefähr ein halbes Dutzend von jedem Schiff, bildeten eine nervöse Gruppe am Ende des Dammes, den niemand betreten durfte, bevor das Treffen der Kapitäne zu Ende war. Wie fange ich am besten an?, fragte sich Zamira.
»Zamira«, ergriff Rodanov als Erster das Wort, »auf deinen Wunsch hin sind wir hier zusammengekommen. Was hast du auf dem Herzen?« Also keine Vorrede, sondern ich bringe es direkt auf den Punkt, dachte sie. »Was ich zu sagen habe, Jaffrim, betrifft nicht nur mich, sondern es geht uns alle etwas an. Ich habe Beweise dafür, dass der Archont von Tal Verrar sich wieder mit uns befassen will.«
»Schon wieder?« Rodanov ballte die Fäuste. »Bonaire hat uns damals in die Scheiße reingeritten, Zamira. Wir hätten damit rechnen müssen, dass Stragos sich das nicht gefallen ließ. Jeder andere von uns hätte an seiner Stelle genauso gehandelt …« »Ich habe keinen einzigen Tag dieses Krieges vergessen, Jaffrim.« Zamira merkte, wie sie wütend wurde, obwohl sie sich vorgenommen hatte, ruhig zu bleiben. »Du weißt ganz genau, dass ich zu der Einsicht gelangt bin, dass es ein fataler Fehler war, auf Bonaire zu hören.«
»Die Verlorene Sache!«, schnaubte Rodanov. »Eine ganz beschissene Idee war das. Schade, dass du nicht schon früher zu Verstand gekommen bist.« »Und ich finde es schade, dass du damals nur geredet hast, anstatt zu handeln«, warf Strozzi milde ein. »Hast das große Wort geführt, und als die Flotte des Archonten über der Kimm auftauchte, hast du Vollzeug gesetzt und bist davongerauscht.««
»Ich bin eurer beschissenen Armada nie beigetreten, Pierro. Ich bot mich an, ein paar Schiffe des Archonten von euch abzulenken, und das ist mir sogar gelungen. Ohne meine Hilfe hättet ihr noch größere Verluste erlitten, weil man euch zusätzlich von Norden in die Zange genommen hätte. Dann wären Chavon und ich die einzigen Kapitäne, die jetzt hier stünden …«
»Ruhe!«, brüllte Zamira. »Ich habe den Rat einberufen, und ich habe noch mehr zu sagen. Ich habe dieses Treffen nicht angesetzt, damit wir uns gegenseitig Salz in alte Wunden streuen.«
»Sprich weiter«, forderte Strozzi sie auf.
»Vor einem Monat verließ eine Brigg Tal Verrar. Ihr Kapitän stahl das Schiff aus der Schwert-Marina.«
Daraufhin setzte ein allgemeines Gemurmel und Kopfschütteln ein. Zamira lächelte, ehe sie fortfuhr: »Um eine Besatzung zu bekommen, schlich er sich in den Kerker des Amwind-Felsens ein und befreite Gefangene. Der Kapitän und die Mannschaft wollten nach Süden segeln und mit uns in Port Prodigal zusammentreffen. Um die rote Flagge zu hissen.«
»Wer bringt es fertig, ein Schiff des Archonten aus einem bewachten Hafen zu stehlen?« Rodanov klang skeptisch. »Diesen Mann will ich kennenlernen.«
»Du kennst ihn bereits«, erwiderte Zamira. »Sein Name ist Orrin Ravelle.«
Valterro, der bis jetzt schweigend hinter Kapitän Rance gestanden hatte, platzte heraus: »Dieser dreckige kleine Wichser …«
»Sei still«, donnerte Zamira. »Gestern Nacht hat er dich um deine Geldkatze erleichtert, stimmt’s? Ravelle hat flinke Finger, einen scharfen Verstand, kann ein Kommando übernehmen und mit einer Klinge umgehen. Ich nahm ihn in meine Mannschaft auf, nachdem er ganz allein vier
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