Sturm ueber roten Wassern
Drakasha war nun seit einer Woche fort. Tausend Meilen weit weg wurde nach Jaffrims Ansicht gerade ein großer Fehler begangen.
Ydrena stieß einen scharfen Pfiff aus. An den Rumpf des aufgegebenen Fischerboots gelehnt stand sie da, nicht zu nahe bei ihm, aber auch nicht zu weit entfernt; durch ihre bloße Anwesenheit tat sie kund, dass Rodanov nicht auf sich allein gestellt war und dass seine Mannschaft wusste, wo und mit wem er sich traf.
Jacquelaine Colvard war eingetroffen.
Sie ließ ihren Ersten Maat bei Ydrena zurück, streifte ihre Stiefel ab und watete ins Wasser, ohne ihre Hose hochzukrempeln. Die alte und unbeugsame Colvard, die in diesen Gewässern schon Schiffe gekapert hatte, als er noch ein Junge war und seine Nase in muffige Schriftrollen steckte. Noch ehe er ein richtiges Schiff gesehen hatte, nicht nur die, welche mit Tinte auf ein Stück Papier gezeichnet waren.
»Jaffrim«, begann Colvard. »Danke, dass du gekommen bist.«
»Zurzeit kann es nur ein Thema geben, über das du mit mir sprechen willst«, entgegnete Rodanov.
»In der Tat. Und es liegt dir auch auf der Seele, nicht wahr?«
»Es war falsch, Drakasha zu schwören, dass wir uns nicht einmischen würden.«
»Wirklich?«
Rodanov hakte seine Daumen in den Schwertgurt und blickte nach unten auf das sich verdunkelnde Wasser, das in winzigen Wellen seine bleichen Knöchel umspülte.
»Anstatt großzügig zu sein, hätte ich hart bleiben müssen.«
»Glaubst du, du seist der Einzige, der Drakasha hätte Einhalt gebieten können?«
»Ich hätte den Eid nicht schwören müssen.«
»Aber dann hätte es bei der Abstimmung vier gegen einen gestanden«, versetzte Colvard, »und während Drakasha in den Norden gesegelt wäre, hätte sie unentwegt über die Schulter geschaut.«
Rodanov spürte, wie sich vor Aufregung ein kaltes Prickeln in seinem Bauch breitmachte.
»In den letzten Tagen sind mir ein paar merkwürdige Dinge aufgefallen«, fuhr Colvard fort. »Deine Mannschaft hat weniger Zeit als sonst in der Stadt verbracht. Du hast Trinkwasser gebunkert. Und ich habe dich beobachtet, wie du auf dem Achterdeck deines Schiffs Instrumente getestet hast. Du hast deine Peilstäbe geprüft.«
Seine Aufregung wuchs. War sie hier, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen, oder um ihn zu unterstützen? Konnte sie so verrückt sein, sich an diesem Ort allein mit ihm zu treffen, wenn sie die Absicht hatte, seine Pläne zu durchkreuzen?
»Dann weißt du also Bescheid?«, fragte er schließlich. »Ja.«
»Willst du mich daran hindern?«
»Ich will dafür sorgen, dass es richtig gemacht wird.«
»Ah.«
»Du hast einen Spitzel an Bord der Orchidee, stimmt’s?«
Rodanov war verblüfft, aber er sah keinen Grund, es abzustreiten. »Wenn du mir verrätst, woher du es weißt«, entgegnete er, »dann gebe ich es vielleicht sogar zu.«
»Ich habe geraten. Immerhin hast du auch einmal versucht, einen Spitzel auf mein Schiff einzuschmuggeln.«
»Ah«, seufzte er und sog die Luft durch die Zähne ein. »Dann kam Riela also doch nicht bei einem Bootsunglück ums Leben.«
»Wie man’s nimmt. Auf jeden Fall passierte es in einem Boot.«
»Bist du …«
»Ob ich dir böse bin? Nein. Du bist ein vorsichtiger Mann, Jaffrim, so wie ich grundsätzlich eine vorsichtige Frau bin. Und weil wir beide eher zur Skepsis neigen, treffen wir uns heute Abend hier.«
»Möchtest du mit mir kommen?«
»Nein«, lehnte Colvard ab. »Aus praktischen Gründen kann ich dich nicht begleiten. Erstens ist die Domina nicht seeklar. Zweitens würde es Anlass zu unerwünschten Spekulationen geben, wenn wir beide gleichzeitig auslaufen und Drakasha dann nicht zurückkommt.«
»Spekulationen wird es so oder so geben. Und irgendwann kommt die Wahrheit heraus. Meine Leute werden nicht ewig den Mund halten.«
»Auf hoher See ist nichts unmöglich«, meinte Colvard. »Alles kann passieren. Wenn wir jedoch im Verbund lossegeln, muss jeder den Schluss ziehen, dass es eine abgekartete Sache war.«
»Und es ist wohl reiner Zufall«, hielt Jaffrim entgegen, »dass die Domina immer noch nicht seeklar ist, obwohl du schon seit Tagen von meinen Vorbereitungen weißt?«
»Na ja …«
»Verschone mich mit irgendwelchen Ausflüchten, Jacquelaine. Bereits vor unserem Treffen hier war ich bereit, das Ganze allein durchzuziehen. Rede dir bloß nicht ein, du hättest mich in meinem Beschluss bestärkt.«
»Reg dich nicht auf, Jaffrim. Hauptsache, der Pfeil trifft sein Ziel, da ist es einerlei,
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