Sturm ueber roten Wassern
geblieben war, hievte sie die Höllenkugel über die Lücke zwischen den beiden Schiffen in Richtung der Tyrann. Im Flug verstärkte sich ihr Glast, ein Komet aus geschmolzenem Metall, und Rodanovs Besatzung prallte in Panik zurück, als die gleißende Kugel auf ihrem Deck landete.
Eine Höllenkugel konnte man nicht anfassen, hatte sie gesagt – nun, offensichtlich stimmte das nicht. Aber diese Berührung überlebte man nicht. Der Pfeil, der sie eine Sekunde danach in den Bauch traf, hatte den Wurf nicht mehr verhindern können. Ihr qualmender Körper fiel auf das Deck, und dann brach zum letzten Mal an diesem Tag die Hölle los.
»Rodanov!«, brüllte Drakasha. »Rodanov!«
In der Kühl der Tyrann erfolgte eine Eruption aus Licht und Feuer; die blendend hell strahlende Kugel rollte hin und her, um schließlich zu zerplatzen. Weißglühende Alchemie regnete auf die Luken hinunter, ließ die Segel in Flammen aufgehen, hüllte die Matrosen ein und trennte das Schiff binnen weniger Sekunden fast in zwei Teile.
»Sie haben die Tyrann in Brand gesteckt!«, donnerte Rodanov. »Wir übernehmen die Orchidee!«
»Wehrt euch!«, brüllte Drakasha. »Wehrt euch, und schlagt die Enterer zurück! Ruder hart backbord, Mum! Hart backbord!«
Locke spürte an seiner rechten Wange eine sich steigernde Hitze; die Tyrann war bereits zum Untergang verurteilt, und wenn die Orchidee sich nicht von ihren Wanten, dem Bugsprit und den Trümmern befreite, würden die Flammen beide Schiffe vernichten. Jean kroch langsam zu Ezris Leichnam. Locke hörte, wie hinter ihm verbissen gekämpft wurde und dachte flüchtig daran, sich zu beteiligen; doch dann vergegenwärtigte er sich, dass er es sich nie verzeihen würde, wenn er Jean in diesem Augenblick im Stich ließ. Und auch keine Vergebung verdient hätte.
»Große Götter«, flüsterte er, als er sie sah. »Oh nein, Götter!«
Jean stöhnte, schluchzte und hielt seine Hände über sie. Locke wusste nicht, an welcher Stelle man sie noch hätte berühren können. So wenig war von ihr noch übrig geblieben -ihre Haut, die Kleidung und das Haar waren zu einer schrecklichen Masse verschmort. Trotzdem bewegte sie sich noch, machte hilflose Versuche, aufzustehen.
Trotzdem schien sie noch schwach nach Atem zu ringen.
»Valora«, sagte Magister Treganne, auf sie zuhinkend, »Valora, nein, rühr sie nicht an…«
Jean trommelte mit den Fäusten auf das Deck und schrie. Treganne kniete neben Ezris Körper und zog einen Dolch aus einer Scheide an ihrem Gürtel. Zu seinem Schreck sah Locke, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.
»Valora«, sagte sie eindringlich, »nimm das. Sie ist bereits tot. Sie braucht dich jetzt, um der Liebe der Götter willen.«
»Nein«, schluchzte Jean. »Nein, nein, nein …«
»Valora, sieh sie dir an, verdammt noch mal. Ihr kann niemand mehr helfen. Jede Sekunde ist für sie eine Ewigkeit, und sie betet um dieses Messer!«
Jean riss Treganne das Messer aus der Hand, wischte sich mit dem Ärmel seiner Tunika über die Augen und erschauerte. Trotz des fürchterlichen Brandgeruchs, der die Luft verpestete, holte er tief Atem; im Rhythmus seiner Schluchzer zuckend, wie ein Mann mit Schüttellähmung, bewegte er das Messer auf sie zu. Treganne legte ihre Hände auf die seinen, damit sie nicht zitterten, und Locke schloss die Augen.
Dann war es vorbei.
»Es tut mir leid«, sagte Treganne. »Vergib mir, Valora. Ich hatte ja keine Ahnung – ich wusste nicht, was Utgar in den Händen hielt. Vergib mir.«
Jean erwiderte nichts. Locke machte die Augen wieder auf und sah, dass Jean wie in Trance aufstand. Er unterdrückte sein Schluchzen und behielt den Dolch locker in der Hand. Als sähe er nichts von dem Kampf, der immer noch hinter ihm wütete, schlurfte er über das Deck zu Utgar.
17
Im Bug fielen zehn weitere Männer in dem Bemühen, das Schiff zu retten; sie hatten Zamiras Befehle befolgt und mit Speeren, Bootshaken und Piken die Tyrann weggestoßen. Sie plackten sich ab, um den Bugsprit und das Rigg des brennenden Schiffs von der Orchidee zu lösen, während Rodanovs überlebende Matrosen im Vorschiff wie die Dämonen kämpften. Mit Mumchances Unterstützung gelang es ihnen freizukommen, und endlich trennten sich die beiden Schiffe voneinander.
»Alle Mann klarmachen zur Wende!«, schrie Zamira, ganz benommen von der Anstrengung, die es sie auf einmal kostete, die Kommandos zu geben. »Toppgasten aufentern. Lass fallen Großsegel! Rundbrassen und
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