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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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keiner ein Wort. Locke schlürfte seelenruhig seinen Wein, der eine blassblaue Farbe angenommen hatte und jetzt nach Wacholder schmeckte.
    »Warum«, begann Requin schließlich, »sollte ich – von allem anderen einmal abgesehen – einen Falschspieler ungestraft entkommen lassen? Sie haben gegen die wichtigste Regel meines Hauses verstoßen, und bis jetzt hat noch jeder, ich betone jeder, der bei dem bloßen Versuch eines Betruges ertappt wurde, mit seinem Leben dafür bezahlt! Wie kommen Sie eigentlich dazu, von mir Milde zu erwarten?«
    »Weil ich davon ausgehe, dass Falschspieler normalerweise von Ihren Angestellten ertappt werden, wenn andere Kasinogäste zugegen sind«, erwiderte Locke, der versuchte, sich einen reumütigen Anstrich zu geben. »Außerhalb dieses Büros weiß kein Mensch von meinem Geständnis. Selendri hat nicht einmal Ihren Angestellten erzählt, warum sie mich hier hochschleppen sollten.«
    Requin seufzte, dann zog er einen Goldsolari aus seiner Rocktasche und legte die Münze auf Lockes Herrn der Türme.
    »Fürs Erste wage ich einen kleinen Einsatz«, erklärte Requin. »Sobald Sie etwas Ungewöhnliches oder Alarmierendes unternehmen, sind Sie tot, und zwar noch bevor Sie Ihren unbedachten Schritt bereuen können. Beim leisesten Verdacht, dass Sie mich auch nur in einem einzigen Punkt belogen haben, lasse ich Ihnen geschmolzenes Glas in den Rachen gießen.«
    »Äh … das erscheint mir fair.«
    »Wie viel Geld haben Sie derzeit bei uns deponiert?«
    »Etwas über dreitausend Solari.«
    »Zweitausend Solari gehören Ihnen ab jetzt nicht mehr. Das Geld bleibt auf dem Konto, damit Meister de Ferra nicht misstrauisch wird, aber ich gebe die Anweisung, dass es nicht abgehoben werden darf. Betrachten Sie es als eine Erinnerung, dass niemand gegen meine Regeln verstößt – es sei denn, ich gebe die ausdrückliche Erlaubnis dazu.«
    »Autsch! Ich glaube, ich sollte Ihnen jetzt dankbar sein. Ich meine, ich bin dankbar.
    Danke sehr.«
    »Sie balancieren nahe am Abgrund, wenn Sie mit mir verhandeln, Meister Kosta.
    Geben Sie gut acht, wohin Sie treten!«
    »Kann ich dann jetzt gehen? Und darf ich mich als einer Ihrer Angestellten betrachten?«
    »Sie dürfen gehen. Und betrachten Sie sich als von mir geduldet. Wir setzen unser Gespräch fort, wenn ich mehr über Ihre jüngste Vergangenheit in Erfahrung gebracht habe. Selendri wird Sie zur ersten Etage zurückbegleiten. Und jetzt machen Sie, dass Sie mir aus den Augen kommen. Ich will Sie nicht mehr sehen.«
    Selendri, die ein wenig enttäuscht wirkte, klappte die Messingfinger ihrer künstlichen Hand wieder zusammen, und die Klingen verschwanden. Mit der Prothese deutete sie auf die Treppe, und der Blick, den sie ihm aus ihrem einen Auge zuwarf, verriet Locke deutlich, was er von ihr zu erwarten hatte, sollte Requin die Geduld mit ihm verlieren.
    Jean Tannen saß lesend in einem privaten Separee in der Goldenen Klause, einem Club auf der zweiten Terrasse der Savrola, nur wenige Blocks von der Villa Candessa entfernt. Die Goldene Klause war ein Labyrinth aus voneinander abgetrennten, mit dunklem Holz getäfelten Räumen; Wände und Türen hatte man reichlich mit Lederpolstern versehen, um den Gästen, die dort zu speisen pflegten, größtmögliche Ruhe zu gewährleisten. Die Bedienungen trugen Lederschürzen und schlaff herabhängende rote Zipfelmützen und durften kein einziges Wort sprechen; sämtliche Fragen der Gäste wurden mit einem Nicken oder Kopfschütteln beantwortet. Jeans Dinner, geräucherter Felsenaal in Karamell-Brandy-Sauce, lag in winzige Stücke zerhackt auf dem Teller wie das Opfer eines Gemetzels. Langsam arbeitete Jean sich durch das Dessert, eine Gruppe Marzipanlibellen mit Flügeln aus kristallisiertem Zucker, die in dem stetigen Kerzenschein, der das Separee erhellte, von innen heraus zu glühen schienen. Er war vertieft in die ledergebundene Ausgabe von Lucarnos Die Tragödie der Zehntausend Ehrlichen Wendehälse und bemerkte Locke erst, als der schmächtige Mann bereits ihm gegenüber Platz genommen hatte. »Leocanto! Hast du mich erschreckt!«
    »Jerome.« Beide sprachen beinahe im Flüsterton. »Du warst wirklich nervös, oder? Du hast deine Nase tief in ein Buch gesteckt, um nicht durchzudrehen. Manche Sachen ändern sich nie.«
    »Ich war nicht nervös. Lediglich besorgt, und das aus gutem Grund.« »Das wäre nicht nötig gewesen.«
    »Du hast es also geschafft? Hast du mich mit Erfolg verraten?«
    »Ich habe dich

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