Sturm über Sylt
Streiten vergangen, und sie hatten Ruhe gegeben. In solchen Momenten war Aletta froh, dass sie die einzige weibliche Inhaftierte war und dieses Gewölbe ganz für sich allein hatte.
Sie war gerade fertig geworden und trocknete sich mit dem harten Leinentuch ab, als die Stimme des Einarmigen erneut zu hören war. »Was sind das für komische Geräusche?«
Aletta horchte auf. Was konnte er meinen? Zwar waren beide Gewölbetüren geöffnet, aber sie hörte nichts, was ihr außergewöhnlich erschien. Die Entfernung war zu groß.
»He, Kumpel!«, ertönte da die Stimme erneut. »Ist dir schlecht? Musst du kotzen? Dann hol den Wärter!«
Matta kam herein und schloss die Zellentür auf, um Aletta das Waschgeschirr abzunehmen. In diesem Moment fiel nebenan ein Hocker um. Dann war ein Ruf zu hören: »Herkommen! Schnell herkommen! Mit dem Kerl stimmt was nicht! Ich sehe ihn nicht! Aber dieses Röcheln ...«
Matta stutzte, wollte sich aber anscheinend nicht um die Rufe kümmern. Doch dann kam es wieder: »Herkommen! Schnell!«
Und diesmal klang die Stimme so schrill und eindringlich, dass Matta erschrocken die Zellentür ins Schloss warf und ins Gewölbe der Männer lief, ohne sich die Zeit zu nehmen, den Schlüssel umzudrehen.
Sie schrie so laut, dass die Tür der Büroräume aufflog und das Trampeln von Männerstiefeln zu hören war. Dann die Stimme eines Wärters: »Verdammt! Wie hat der das hingekriegt?«
Dies war der Moment, in dem Aletta bemerkte, dass ihre Zellentür nicht richtig ins Schloss gefallen war. Ihr Rocksaum hatte es verhindert. Ungläubig schob sie die Tür auf. Tatsächlich! Ein kleines Stück Freiheit öffnete sich, so groß wie die Tür, dahinter eine Freiheit, so groß wie das ganze Universum. So erschien es Aletta jedenfalls. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür, um von dort in das Gewölbe der Männer zu blicken. Die Tür zu Dirks Zelle stand offen, die Wärter standen davor und starrten Dirk Stobarts Füße an, die leicht hin und her schaukelten.
Matta machte einen Schritt zurück. »Tut was!«, kreischte sie.
Daraufhin kam Leben in ihre beiden männlichen Kollegen. Der eine griff nach Dirks Beinen und hob ihn an, der andere jedoch ließ die Hände gleich wieder sinken und deutete auf die blaue Zunge, die vor Dirks Lippen stand, als hätte er sie ausspucken wollen, aber kurz vorher das Bewusstsein verloren. Daraufhin ließ der Wärter Dirks Beine wieder los, dessen Körper sackte wieder in den Gürtel, den er an einem Haken befestigt hatte und der eigentlich dazu diente, besonders gefährliche Insassen anzubinden, denen es zuzutrauen war, dass sie die Wärter angriffen, wenn die Zellentür geöffnet wurde.
Nun holte der Lärm auch Oberkommissar Henksen aus dem Büro, der angelaufen kam, Kommissar Wachsmann auf den Fersen.
»Verdammt!«, brüllte Henksen. »Wie konnte das passieren?«
Darauf bekam er keine Antwort, auch Wachsmanns Feststellung blieb ohne Kommentar: »Der Zeuge Boncke Broders hatte also recht. Das hier ist eindeutig ein Schuldeingeständnis.«
Aletta schlich zur Tür und blickte auf den Gang, der nun menschenleer war. Zwei Schritte, und sie konnte in den Teil des Gewölbes sehen, der den Männern vorbehalten war. Die Wärter und die beiden Polizisten drehten ihr den Rücken zu und starrten Dirk Stobart an, als wartete jeder auf einen anderen, der bereit war, den Leichnam abzunehmen.
Der einarmige Dieb war der Einzige, der sie bemerkte. In seinen Augen blitzte es kurz auf, als wolle er auf ihr Erscheinen reagieren, aber dann blickte er zur Seite und ließ sich nichts anmerken. Im Gegenteil, er sorgte sogar dafür, dass in Dirk Stobarts Gefängniszelle niemand an Aletta Lornsen dachte. »Nehmen Sie den Kerl vom Haken, ehe sich bei ihm Darm und Blase entspannen. Sonst haben wir hier alles voller Scheiße und Pisse! Ich habe so was schon mal erlebt! Eine elende Schweinerei ist das!«
Ein Ruck ging durch die beiden Wärter, Matta machte einen weiteren Schritt zurück, die beiden Polizisten folgten ihrem Beispiel. Während einer der Wärter den Hocker auf seine vier Beine stellte und daraufkletterte, um den Gürtel von Dirks Hals zu nehmen, huschte Aletta den Gang entlang in einen der Büroräume. Von dort musste es eine Tür geben, die ins Freie führte! Ob sie verschlossen war? Aletta schickte ein Stoßgebet zum Himmel und flehte Ludwig an, dafür zu sorgen, dass sie hier ungeschoren herauskam.
Sie öffnete die erste Tür, die in eine Abstellkammer führte, die zweite,
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