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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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nicht zurückweisen. Und deswegen war das, was sie tat, richtig! Darin wurde sie sogar noch bestätigt, als sie die Kollekte in der Hand hielt. Am Morgen waren die Gläubigen besonders großzügig gewesen. Sogar einige Scheine waren gespendet worden. Wenn sie dieses Geld gut versteckte, würde es lange reichen. Jede Woche fünfzig Pfennig! Ihre Mutter würde sich freuen.
    Sämtliche Skrupel waren verflogen, als Aletta das Geld sorgsam unter ihrem Umhang verstaut hatte. Wen das Glück derart verwöhnte, der konnte nicht Unrecht haben!
    Sie schloss den Schreibtisch sorgfältig wieder ab und steckte den Schlüssel in die Soutane zurück. Auch die Sakristei verriegelte sie gewissenhaft und legte den Schlüssel an die Stelle, wo sie ihn gefunden hatte. Erleichtert wollte sie sich auf den Rückweg machen ... da hörte sie etwas. Ein leises Wimmern, schwach und kraftlos. Aus einem der Gräber? Aletta fühlte einen eiskalten Schauer über ihren Rücken laufen. Am Tag zuvor war eine alte Nachbarin beerdigt worden. Irrte nun ihre Seele über den Friedhof und suchte den Eingang zum Himmel?
    Wie angenagelt stand sie da, unfähig, sich zu rühren. Nun wieder dieses Wimmern! Ein Tier? Dann aber steigerte sich das Geräusch, wurde zu einem kläglichen Schreien. Und Aletta begriff mit einem Schlage, was sie da hörte: das Weinen eines Säuglings. Es kam von der anderen Seite der kleinen Kirche, vom Eingang her.
    Vorsichtig schlich sie zur Hausecke und reckte den Hals. Tatsächlich! Da sah sie ein weißes Bündel liegen. Und sie glaubtesogar zu erkennen, dass zwei dünne Ärmchen durch die Luft fuhren. Vorsichtig machte sie Schritt für Schritt auf das Kind zu. Wie kam es hierher? Wer hatte es auf die Kirchenstufe gelegt? War es schon da gewesen, als sie hergekommen war? Oder hatte es jemand abgelegt, während sie in der Sakristei war? Eine verzweifelte Mutter, die nicht für ihr Kind sorgen konnte! Ja, so musste es sein. Aletta hatte schon von Findelkindern gehört, die heimlich zur Welt gebracht und dann auf den Stufen einer Kirche abgelegt wurden, weil der Pfarrer ein frommer Mensch war, der sich eines unschuldigen Wesens annehmen musste.
    Sie wagte es nicht, zu dem Kind zu gehen und sich von dessen Schicksal rühren zu lassen. Zu groß, zu gewaltig war es für die zehnjährige Aletta. Sie kauerte sich an die Erde, beide Hände fest auf das Geld unter ihrem Umhang gepresst, zitternd vor Angst. Was sollte sie tun? Das Kind seinem Schicksal überlassen? Sie sagte sich, dass die Nacht nicht besonders kalt war und dass die Mutter das Kind sicherlich warm eingewickelt und dafür gesorgt hatte, dass es nicht fror.
    Das Weinen wurde nun schwächer und hörte kurz darauf ganz auf. Aletta atmete erleichtert auf, die Stille half ihr beim Nachdenken und reichte ihr prompt ein paar Ausflüchte. Das Kind schlief nun anscheinend, würde wohl bis zum Morgen schlafen, und dann wurde es vom Pfarrer oder seiner Haushälterin gefunden, und jemand sorgte dafür, dass es irgendwo ein gutes Zuhause bekam. Und überhaupt war es reiner Zufall, dass sie sich in der Nacht hier aufhielt. Wenn sie sich nicht ausgerechnet an diesem Abend entschlossen hätte, wäre das Kind sowieso erst am Morgen entdeckt worden. Das hatte die Mutter wissen müssen. Wenn sie also das Risiko einging, dass der Säugling stundenlang allein blieb, so war das in Ordnung. Das hatte die Mutter vorhersehen müssen, denn sie konnte nicht ahnen, dass jemand zu nachtschlafender Zeit den Friedhof betrat.
    Aletta wollte sich gerade erheben und nach Hause zurückkehren, indem sie an einer Stelle über den Zaun stieg, die möglichstweit von der Kirchentreppe entfernt war ... da bemerkte sie den Hund. Es war einer dieser streunenden Straßenköter, der entweder in einem Haus zur Welt gekommen war, wo es keinen Platz und nichts zu fressen für weitere Vierbeiner gab, oder der aus dem Wurf eines herrenlosen Hundes stammte. Diese Tiere schlugen sich durch, stahlen hier einen Brocken, ließen sich dort von einem mitleidigen Fischer, Metzger oder Feriengast etwas vorwerfen und mussten aufpassen, dass sie nicht gefangen und kurzerhand getötet wurden, weil streunende Hunde nicht ins Bild eines aufstrebenden Seebades passten.
    Der Hund schnüffelte an der Hecke entlang, dann schien er ein Loch gefunden zu haben, durch das er sich zwängen konnte. Mit einem Mal sah Aletta ihn in der Nähe der Kirchentreppe. Er verharrte, schnupperte, verharrte erneut, machte einen vorsichtigen Schritt.
    Aletta sprang

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