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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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war verschleiert, die Mundwinkel zitterten. Aber nicht lange, dann pressten sie sich ärgerlich auseinander.
    »Ich habe wieder nicht geklopft«, sagte Aletta leise. »Und ich werde es auch in Zukunft nicht tun.«
    Sie ging auf Insa zu, um sie zu umarmen, aber sie musste ihre Schwester lange umschlungen halten, bis sie endlich deren Hände auf ihrem Rücken spürte.
    Ludwig räusperte sich, und Aletta begriff, dass er vorgestellt werden wollte. »Entschuldigung!« Sie löste sich aus Insas Armen und sah zu, wie Ludwig ihre Schwester förmlich begrüßte. Insa erwiderte sein Lächeln nicht, sagte kein Wort, reichte ihm nurdie Hand und nickte, als sei sie zwar einverstanden mit Ludwigs Besuch, als sei er ihr jedoch gleichgültig.
    Aletta blickte zu der Tür, die in den Garten führte, und Insa begriff, was sie sagen wollte, noch ehe Aletta es aussprach. »Sie wissen nichts. Zahlende Gäste haben ein Recht darauf, ungestört Urlaub zu machen. Ein Todesfall im Haus verdirbt ihnen die Stimmung!« Sie zog einen Stuhl vom Tisch weg und bedeutete Ludwig, sich zu setzen. »Besser, wir bleiben hier in der Küche.« Prompt wurde ihr Tonfall verächtlich. »Meine berühmte Schwester würde sofort von allen befragt, belagert und bedrängt werden. Die Gäste warten seit dem Konzert darauf, dass Aletta Lornsen hier endlich auftaucht.«
    Ludwig nahm den Hut ab und setzte sich, Aletta jedoch blieb stehen. »Ich möchte zu Mutter.«
    Insa machte eine abwehrende Geste. »Der Pfarrer ist bei ihr. Heute Abend, wenn die Gäste auswärts essen, wird Sönke kommen und Mutter abholen.«
    Aletta setzte sich nun doch. »Sönke? Das Findelkind?«
    »Er arbeitet in der Zimmerei Stobart. Die haben eine geschlossene Kutsche, mit der die Toten zum Einsargen geholt werden. Ich muss heute noch einen Sarg aussuchen.« Sie blickte auf und sah Aletta an. »Oder wir beide? Wenn du willst ...«
    »Ich komme mit«, antwortete Aletta.
    Der Gedanke, dass der leblose Körper ihrer Mutter aus dem Haus getragen werden sollte, lähmte sie beide, ihre Glieder, ihre Zunge. Still und bewegungslos saßen sie da, die ungleichen Schwestern, eine jung, erfolgsverwöhnt, strahlend trotz der Trauer, mondän trotz des Bemühens, schlicht zu erscheinen, und die andere, bereits in mittleren Jahren, schön und kräftig, aber auch längst ernüchtert und verhärmt.
    Aletta merkte, dass Ludwig zwischen ihnen hin und her sah. Sie hätte gern etwas gesagt, was ihn ermunterte, ein Gespräch in Gang zu setzen, damit dieses Schweigen ein Ende hatte ... aber sie brachte es nicht fertig. Sie erlegte Ludwig diese Stille, diesesSchweigen auf, obwohl ihr klar war, dass er, der Fremde in diesem Haus, es als Last empfinden musste. Insa starrte auf ihre gefalteten Hände, Alettas Blick irrte umher, als wollte er sich an dem festhalten, was zu ihrer Kindheit gehörte. An dem weißen Küchenbüffet, den hell getünchten Wänden, an der Lampe mit dem gläsernen Schirm, die über dem Küchentisch hing, und dem Herd, an dem sie ihre Mutter stehen sah. Ihr wurde in diesem Moment klar, dass die Erinnerung an ihre Mutter, die sie zehn Jahre bei sich getragen hatte, mit diesem Herd zusammenhing. Wenn sie an ihre Mutter dachte, hatte sie in ihrer Erinnerung am Herd gestanden, eine Bratpfanne bewegt, den Kochkessel hin und her geschoben, Kohlen nachgelegt, wenn die Kochhitze nicht ausreichte, und sich den Schweiß von der Stirn gewischt, wenn der Herd die Küche auch im Sommer heizte, obwohl es draußen warm und sonnig war. Aletta betrachtete jede Einzelheit. Neben dem Herd stand ein Wassereimer, über ihm hingen ein Schöpflöffel und ein Drahtsieb. Das Regal, das neben dem Herd stand, hatte es früher nicht gegeben. Dort wurden nun ein Backblech und eine Brotdose, eine Waschschüssel, ein Nudelbrett und eine Nudelrolle aufbewahrt.
    Ludwig ertrug das Schweigen nicht länger. »Man muss befürchten, dass das Attentat von Sarajewo als Vorwand für eine Kriegserklärung dienen wird«, sagte er, weil ihm anscheinend kein anderes Gesprächsthema einfiel oder weil ihn die Sorge um den Frieden derart beschäftigte, dass ihm kein anderer Gedanke kommen wollte. »Der deutsche Kaiser will das Attentat für seine Zwecke nutzen, die österreichisch-ungarische Regierung ebenso.«
    Aletta sagte nichts dazu, und Insa schien über einen drohenden Krieg ebenso wenig reden zu wollen. Sie erhob sich abrupt und holte die Kaffeemühle aus dem Küchenbüffet. Sie sah Aletta und Ludwig fragend an. »Ich kann auch Tee

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