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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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nicht, sondern lief an ihr vorbei die Treppe hinab, von dort in den Garten zu dem kleinen Holzhaus mit dem Herzchen in der Tür. Es war verschlossen. Der Geruch, der durch das Herz drang, verursachte in Aletta gleich wieder heftige Übelkeit. Sie lief mit der Waschschüssel zum Komposthaufen, entleerte sie dort und lehnte sich schwer atmend an den Kirschbaum. Sie spürte, wie ihr der Schweiß aus allen Poren brach.
    Hinter ihr knarrte die Tür des Holzhäuschens, sie hörte das Schnalzen von Hosenträgern, dann ein Räuspern und ein paarSchritte durchs hohe Gras. »Kann ich Ihnen helfen, junge Frau?« Hauptmann Hütten stand vor ihr und betrachtete sie neugierig. »Ja, so war’s bei meiner Frau auch immer. Aber das geht vorbei.«
    Er schenkte ihr ein Grinsen, das er vermutlich für tröstlich hielt, dann entfernte er sich zügig, wie sich Männer immer gerne entfernten, wenn sie mit allzu Weiblichem konfrontiert wurden. Aletta starrte ihm nach, während in ihrem Kopf nur ein Gedanke Platz hatte: Ludwig hätte sich niemals entfernt!
    Keinen anderen Gedanken ließ sie zu, während sie die Schüssel am Brunnen wusch und dann ins Haus zurückging. Insa hatte bereits den Boden gewischt, als sie ihr Zimmer wieder betrat. Ohne erkennbare Gefühlsregung sah sie ihre Schwester an. »Dann ist es ja gut, dass ihr nach dem Krieg heiraten wollt. Besser wäre es gewesen, dein Freund hätte sich schon vorher entschließen können.«
    »Das kann nur jemand verstehen, der selbst ein Kind geboren hat«, sagte eine Frau hinter ihr, die viel Beifall fand. Aber Aletta sah sich nicht um.
    An der Tafel vor dem Rathaus war eine Mitteilung über den ersten Toten dieses Krieges angeschlagen worden, der achtzehnjährige Jap Utermöhlen, der sich freiwillig an die Front gemeldet hatte und begeistert in den Krieg gezogen war. Er war nicht mal bis an die Front gekommen. Wie es zu dem Oberschenkeldurchschuss gekommen war, wusste niemand. Anscheinend eine verirrte Kugel aus dem Gewehr eines Kameraden.
    »Über so was redet man nicht gerne«, murmelte jemand, zu dem Aletta sich ebenso wenig umblickte. »Macht ja keiner mit Absicht.«
    Man habe noch versucht, sein Leben mit einer Amputation zu retten, aber leider vergeblich. So viel war durchgesickert, obwohl niemand wusste, wie genau diese Auskünfte den Tatsachen entsprachen. Fest stand nur, dass Jap nicht mehr lebte.
    »Der Pfarrer ist bei seiner Mutter und betet mit ihr.«
    Pfarrer Frerich war überall in diesen Tagen, wurde in den Familien gebraucht, in denen der Vater und Ernährer fehlte und in denen die Angst umging, dass Sylt angegriffen werden könnte. Dass die Inselwache das Schlimmste verhüten würde, darauf mochte niemand vertrauen.
    Neben der Tafel, auf dem der Name des ersten Sylter Gefallenen stand, gab es eine weitere Bekanntmachung, die ebenso interessiert gelesen wurde:
    Die Inselwache beabsichtigt, noch zwölf mit der Waffe ausgebildete Leute einzustellen. Freiwillige werden gebeten, sich umgehend im Geschäftszimmer der Inselwache im »Hotel Zum Deutschen Kaiser«, Zimmer Nr. 6, zu melden. Der Bürgermeister.
    Neben Aletta spuckte jemand in den Sand. »Was schicken die auch so viele von den Sylter Jungs an die Front? Die Inselwache kann nur Leute gebrauchen, die sich hier auskennen.«
    Aletta wandte sich um, machte ein paar Schritte zurück und betrachtete, um sich von den Ängsten der Sylter so weit wie möglich zu entfernen, das Rathaus. Es war im ehemaligen Hotel Royal untergebracht, das die Stadt Westerland vor ein paar Jahren gekauft hatte. Es lag in der Nähe des »Miramar«, ebenso dicht am Strand wie das beste Hotel Westerlands. Neben dem Rathaus, direkt hinter den Dünen, war das Warmbadehaus für medizinische und therapeutische Kuren und Massagen entstanden. Mit 44 Warmbädern, sowohl mit See- als auch mit Süßwasser, war das Warmbadehaus die größte Einrichtung dieser Art an der deutschen Küste. Nun lag es verlassen da, ebenso wie das »Miramar«, dessen Fenster allesamt mit Läden verschlossen waren.
    Der Name des »Hotels Royal« war noch immer über dem Eingang des jetzigen Rathauses zu erkennen, aber das Stadtwappen, das Kaiser Wilhelm der Stadt Westerland verliehen hatte, prangte unübersehbar an der Fassade und machte damit das Hotelzu einem amtlichen Gebäude. Aletta betrachtete das Wappen, die trutzige Mauer mit den drei Wachtürmen an seinem oberen Rand, den roten Leuchtturm in der Mitte, das gleichmäßig gewellte Meer am Fuß des Wappens.
    Der Name des

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