Sturm ueber Thedra
nackter Aggression zu begegnen, ohne Zugeständnisse zu machen! Szin wurde zum Jäger! - Zum erbarmungslosen Jäger, der seine Opfer planmäßig verfolgte, quälte und erpreßte. Dem "Gib Brot!", der ersten Tage folgte schon bald das "Gib Geld!" Selbst die größeren Kinder im Hafen begannen, Szin zu fürchten. An Tücke und Schnelligkeit konnte es keiner mit ihm aufnehmen, und verlor er einmal einen Kampf, war er am nächsten Tag schon wieder da und griff mit doppelter Wut an. Dabei war er klug genug, sich immer an Außenseiter zu halten, so dass er nie mit einer Gruppe in Konflikt geriet, die sich hätte gegen ihn stellen können.
Von da an waren die Tage des Hungers vorbei. Oftmals klimperten sogar ein paar kleine Geldstücke in Szins Tasche. Szin hatte seine Bestimmung gefunden. Er war Jäger und wollte auch nie mehr etwas anderes sein.
Dennoch war er im Alter von acht Jahren an seine Grenzen gestoßen. Mittlerweile war er der ungekrönte König der Hafenkinder. Ein König ohne Gefolge zwar, von seinen Untertanen gehaßt und gefürchtet, aber nicht verachtet. Keines der Hafenkinder hätte es mehr gewagt, Szin gegenüber seine Mißachtung zum Ausdruck zu bringen. Einem erheblich größeren Jungen hatte er einmal bei einer solchen Gelegenheit mit einem Stein ein Auge ausgeschlagen, und alle, die darum herumstanden, hatten gesehen, wie genau er gezielt hatte. Nein! - Mit Szin legte man sich nicht ungestraft an!
Dann kam der Tag, an dem Szin den Bogen überspannte: Er hatte in einem Anfall von Jähzorn einen gleichaltrigen Jungen mit einem gestohlenen Marlspieker erstochen. - Am hellichten Tag, auf einem belebten Platz vor einem Lagerschuppen im Hafen. Szin wurde vor Gericht geschleppt.
Der Richter war an jenem Tag guter Laune gewesen und hatte dem Angeklagten sein junges Leben geschenkt, obwohl der Diebstahl des Marlspiekers ja noch erschwerend hinzukam. Er hatte Szin lediglich für unbestimmte Zeit zur Zwangsarbeit verurteilt.
Alles hätte also recht glimpflich ausgehen können, hätte Szin dem Richter nicht geifernd und tobend versprochen, ihn derselben Behandlung mittels eines Marlspiekers zu unterziehen, wie sein Opfer. Das mochte der Richter nicht hören, und er sorgte auch dafür, dass Szin sich nie wieder entsprechend äußern konnte. Unverzüglich ließ er das Kind auf den Richtplatz von Sordos bringen, wo die Henkersknechte in einer außerordentlich langwierigen, blutigen und schmerzhaften Prozedur die Zunge des Knaben entfernt hatten.
Danach war Szin in ein Arbeitslager Sed eb Reas gebracht worden, wo er fast an seinen Verletzungen gestorben wäre. In dieser Zeit hatte er im Fieber immer wieder denselben Traum gehabt: Er hatte geträumt, er könne andere Menschen nur durch Berührungen beliebig manipulieren - ihnen förmlich seinen Willen aufzwingen.
Zunächst hatte Szin diese Träume als dummes Zeug abgetan und auf den Verlust seines Sprechvermögens zurückgeführt. Aber der Traum war immer wiedergekehrt.
Als er schließlich genesen war, hatte er es dann ausprobiert. Er hatte sich einen besonders griesgrämigen alten Wärter ausgesucht und ihn beim Vorübergehen wie zufällig kurz an der Hand berührt. Nach wenigen Schritten hatte der Mann Szin zurückgerufen, mit abwesendem Gesichtsausdruck in seinen Brotbeutel gegriffen und Szin ein Stück seiner eigenen Verpflegung gegeben. Das war nun genau das, wonach Szin mit seiner Berührung `gefragt' hatte.
Es war ein Triumph gewesen! Szin war von Wärter zu Wärter, von Gefangenem zu Gefangenem geeilt und hatte seine neue Fähigkeit immer wieder ausprobiert. Er hatte festgestellt, dass die Menschen unterschiedlich stark auf die Impulse, die er aussandte, ansprachen. Manche von ihnen reagierten unglaublich stark, während er bei anderen nur mäßigen Erfolg hatte. Dann gab es noch die kleine Gruppe der vollständig Immunen.
Szin hielt sich natürlich vor allem an die Leute, die leicht manipulierbar waren; die Mörder, Räuber und Betrüger, die sich mit ihren Taten noch im Lager großtaten. Er schmeichelte sich mit Berührungen bei ihnen ein und wann immer er es wollte, wurde er reichlich beschenkt.
Zum erstenmal in seinem Leben spürte Szin so etwas wie Freundschaft. Es war die Art von Zuneigung, die ein Jäger seinen Hunden entgegenbringt. Diese Leute waren dumm, aber brauchbar, solange sie funktionierten. Die schwerer zu beeinflussenden Insassen: die Reuigen und die Unschuldigen interessierten ihn vorläufig nicht.
Das Lager gefiel Szin.
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