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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Rickard auf die Fähre helfen. Das Unterdeck war in mehrere eingezäunte Bereiche unterteilt, in denen Kühe, Ziegen und Pferde standen. Stroh lag am Boden, Hirten und Händler, die ihre Waren abgestellt hatten, saßen in kleinen Gruppen zusammen. Es roch nach Kot und Tier. Überall standen Eimer, die mit Sand gefüllt waren. Ein Matrose ging zwischen den Passagieren auf und ab. »Kein Feuer!«, rief er immer wieder. »Niemand darf Feuer machen!«
    Die Fähre war das größte Schiff, auf dem Craymorus je gewesen war. Er schätzte, dass es fast fünfzig Schritt lang war und zwanzig Schritt hoch. An Steuerbord und Backbord standen Reihen von Bänken, die mit Ruderern besetzt waren. Die meisten Männer hatten die Beine auf die Ruder gelegt und die Augen geschlossen. Sie alle trugen Sklavenmale, aber keine Ketten.
    Mehrere Leitern und zwei Treppen führten auf das Oberdeck. Sie waren schmal und steil. »Wir können unten bleiben«, sagte Rickard.
    »Nein, es geht schon.« Die Überfahrt würde die ganze Nacht dauern. Er wollte sie nicht in diesem Gestank verbringen. »Ich kann mich am Geländer festhalten.«
    Rickard hörte ihm nicht zu, sondern drehte sich zu den Ruderern um. »Hey«, sprach er sie an. »Mein Freund hier braucht Hilfe. Ihr kriegt zwei Kupfer, wenn ihr ihn nach oben bringt.«
    Die beiden Männer nahmen die Beine von den Rudern und standen auf. Einer von ihnen nahm Craymorus die Krücken aus der Hand, bevor er etwas dagegen sagen konnte, der zweite packte ihn an den Hüften und warf ihn sich wie einen Sack über die Schultern. Dann ging er zur Treppe. Hirten und Händler drehten sich um und starrten Craymorus an. Er schloss die Augen, um ihren Blicken nicht begegnen zu müssen.
    Erst auf dem Oberdeck öffnete er sie wieder. Der Ruderer setzte ihn ab, der zweite reichte ihm seine Krücken. Rickard gab beiden eine Kupfermünze und bedankte sich.
    »Siehst du?«, sagte er dann zu Craymorus. »Man muss sich nur zu helfen wissen.«
    »Ich habe keine Hilfe gebraucht. Ich …« Wut und Scham verschlossen Craymorus' Kehle. Er ließ Rickard stehen und zog sich zu einer leeren Holzbank. Zitternd atmete er durch. Wind strich über sein Gesicht. Rechts von ihm ging die Sonne über der Insel der Meister unter. Links breitete sich das Meer in ihrem Licht rot und funkelnd aus.
    Wird es immer so weitergehen?, fragte er sich. Ist das mein Leben?
    Er streckte sich auf der Bank aus. Über ihm standen die ersten Sterne am Himmel. Das Oberdeck war weitgehend offen. Segel blähten sich leicht an zwei Masten. Am Heck waren weiße Stoffplanen zwischen mehrere Balken gespannt worden und versperrten den Blick auf den Bereich, der dahinter lag. Einige Soldaten standen vor dem Eingang Wache. Sie trugen grüne Wappenröcke. Craymorus wusste nicht, ob sie zu einem Haus gehörten, oder ob ein reicher Händler sie angeworben hatte.
    Hinter ihnen ragte das Ruderhaus auf. Rauch drang aus einem Schornstein. Dort befand sich wohl auch eine Küche, denn Craymorus sah Menschen, die mit dampfenden Holznäpfen an einigen Tischen saßen.
    Sein Blick glitt an ihnen vorbei – und an Rickard, der immer noch so dastand, wie er ihn zurückgelassen hatte. Am Bug befand sich ein Unterstand, in dem ein Matrose Decken, Näpfe und Becher ausgab. Ein zweiter schenkte Bier aus einem Fass aus. Auf einer Holzbank lagen Brote und Dörrfleischstreifen. Craymorus' Magen knurrte. Er hatte am Morgen etwas gegessen, seitdem nichts mehr. Geld hatte er auch keins dabei. Er war daran gewöhnt, dass Rickard alles bezahlte.
    Geschieht mir recht, dachte er. Dann werde ich eben eine Nacht lang hungrig sein.
    Er drehte den Kopf, als er Ketten klirren hörte. Die Sklaven stolperten die steile Treppe herauf, angeführt von einem der Männer in Lederrüstung. Er zog die Jungen auf die Reling zu und schlang die Kette um einen Eisenring. Dann sicherte er sie mit einem schweren Schloss. Die Sklaven hockten sich dicht nebeneinander wie Tiere bei einem Gewitter. Nur einer, der Junge, dessen Name Lorky lautete, blieb abseits von ihnen. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte in den Himmel, als hoffe er hineinzustürzen. Craymorus sah ihn an, bis ihm die Augen zufielen.
    Als er erwachte, saß der Junge noch genauso da wie zuvor. Es war dunkel geworden. Menschen redeten miteinander, spielten Karten, tranken. Einige lagen auf dem Boden und schliefen. Die Monde schienen so hell, dass Craymorus ihre Gesichter erkennen konnte.
    Craymorus drehte sich auf den Rücken. Sein

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