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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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für sie sein. Ich habe schreckliche Neuigkeiten über ihre Herrin gehört. Nimm Yeren mit, ja?«
    »Herrin?«, fragte Yeren scharf, als Kerek sich erneut verbeugte und den Raum verließ. »Das wäre dann doch wohl die Dame,
oder? Es heißt, sie sei tot, in einem ihrer eigenen Tempel ermordet.«
    »Ich kenne die Einzelheiten leider nicht, aber ich habe auch gehört, sie sei tot.« Certinse musterte Yerens Gesicht, während der Soldat die Teile zusammenfügte. Eine Geweihte der Dame. Der ärgerliche Hohepriester Echer. Also wirklich, Yeren, das ist doch nicht so schwer? Oder möchtest du das bei einem Mann in Kutte einfach nicht wahrhaben?
    »Pisse und Dämonen!«
    Certinse lächelte. »Nicht ganz.«
    »Euer Sekretär hat nicht mal mit der Wimper gezuckt«, wandte Yeren ein. »Was für ein Leben führt ihr Kleriker eigentlich?« Der Mann wirkte tatsächlich so wütend, als sei er selbst während der Jahre des blutigen Bürgerkriegs in Tor Milist ein Paradebeispiel an Güte gewesen.
    Mit der Wimper gezuckt? Das hat der Mann nicht mal getan, als ich ihm befahl, seinem Gott abzuschwören und einem Dämonenprinzen zu huldigen. Ich glaube nicht, dass er sich wegen eines Mordes Sorgen macht. Es interessiert ihn kaum, solange er nicht daran beteiligt ist.
    »Das Hauen und Stechen in einer klerikalen Debatte kann sehr verletzend sein«, stimmte Certinse zu. »Er wird ein Treffen mit Ardela einrichten, sobald sie dem Obersten Kardinal ihre Argumente vorgetragen hat. Wie viele Frauen mit rotem Haar kann auch sie recht feurig sein. Vielleicht liegt es an dem Färbemittel?«
    Gelüste, die befriedigt werden müssen. Certinse erinnerte sich gut an Lord Isaks Worte. Verdammt seiest du, Ardela! Deine Nachlässigkeit hat mich dem Haushofmeister für den Rest meines Lebens ausgeliefert, und genau das ist die Sorte Fehler, die sie einem nicht durchgehen lassen. Ich wünschte beinahe, der Dämonenprinz wäre nicht getötet worden, wer auch immer diese Tat vollbracht hat, denn
liebend gern würde ich ihm deine Seele schicken, aber so muss ich mich damit bescheiden, dich einfach nur umzubringen.
    »Recht feurig?«, wiederholte Yeren. »Ich glaube nicht, dass sie freiwillig mitkommen wird.«
    »Die traurigen Wahrheiten des Lebens«, stimmte Certinse zu und widmete sich wieder dem Bericht.

19

    Ein kalter Wind peitschte gegen seinen Körper, schlug ihm mit eisigen Fingern ins Gesicht. Er lief mit gesenktem Kopf, starrte auf seine sich hebenden und senkenden Füße, die von gequälten Muskeln bewegt wurden. Diese Füße waren nackt, immer nackt, seine Kleidung zerschlissen und eingerissen. Er hielt Eolis in der Hand, das ihn vorwärtszog, auf einen scharfkantigen Berg zu, der fast den ganzen Horizont ausfüllte. Er konnte Schlamm und Feuer im Wind riechen. Ganz anders war das als die Feuersbrunst von Scree, aber doch ähnlich genug, um Entsetzen in ihm zu wecken.
    Er blieb stehen und betrachtete die dichten Schatten, die den Boden bedeckten. Im grimmigen, grauen Himmel war keine Sonne zu sehen, dennoch waren die Schatten so schwarz, dass man sie fassen zu können glaubte. Unter seinem Blick fingen sie an, sich zu bewegen und zu winden, und er taumelte einige Schritte weiter. Wohin er auch blickte, überall sah er Bewegungen. Die Schatten zuckten und bäumten sich auf, erhoben sich etwas, um dann wieder zu Boden zu sinken. Er spürte Blicke auf sich und erkannte, dass die Schatten keine Monster waren und auch keine Dämonen, die zum Leben erwachten. Sie waren etwas viel Schlimmeres.
    Gesichter aus allen Abschnitten seines Lebens, blutverschmiert und brüllend, Feinde, die er kaum wahrgenommen hatte, bevor er sie tötete, abgeschlachtete Freunde. Sie starrten ihn aus allen Richtungen
an. Es war ein Totenfeld. Die von ihm Erschlagenen lagen in großen Haufen neben denen, die auf seine Befehle hin starben.
    Er wandte sich um, wollte fliehen, konnte ihre Blicke und Schreie nicht länger ertragen, aber sie waren auch hinter ihm, und mitten unter diesen weiteren Schatten standen fünf Gestalten, die ihn musterten.
    »Was wollt ihr?«, stöhnte er und sank auf die Knie. Die Kälte kroch in seine tauben Hände und Füße und stahl ihm noch das letzte bisschen Leben.
    »Wir warten«, lautete die Antwort.
    Eine der Gestalten trat näher heran und beugte sich vor, um ihm ins Gesicht zu blicken. Die unerbitterlichen grauen Augen ließen ihn vor Schmerzen aufschreien, aber der Laut klang in ihrer Gegenwart dumpf und leise. Ihr Kleid musste einst aus

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