Sturmauge
zur Leiche werden, und möge es auch eine reiche Leiche sein«, sagte Kam, und Boren nickte bekräftigend.
»Das verstehe ich«, sagte die Dame. »Und doch werden im Verlaufe dieses Auftrages viele, wenn nicht alle von euch sterben.«
»Was für ein Angebot soll das sein?«, stieß Boren aus und sah aus, als wolle er aufstehen und gehen, aber Kam drückte seinen aufgebrachten Freund wieder sanft auf die Kiste.
»Ich denke, ich verstehe«, sagte Kam langsam. »Aber können wir Euch vertrauen? Es gibt keinen Grund, warum Ihr uns am Leben lassen – oder warum Ihr Euch mit unseren Dörfern in Verbindung setzten solltet, wenn wir erst tot sind. Wenn Euer Freund das Geld bringt, legt er damit eine Spur, die zu Euch zurückverfolgt werden kann, und das könnt Ihr nicht riskieren.«
»Warum ihr mir vertrauen solltet? Das könnt ihr wohl tatsächlich nicht, aber ich denke doch, dass ihr wisst: Ihr könnt euch
auf mein Wort verlassen.« Sie seufte. »Du hast erraten, wer ich bin, und die erwähnte Spur spielt kaum noch eine Rolle.«
Kam dachte darüber nach, versuchte die Teile in seinem Kopf zusammenzusetzen und beachtete Borens verwirrten Gesichtsausdruck nicht weiter. Er unterdrückte auch die plötzlich aufsteigende Abscheu.
»Ich bitte aufrichtig um Entschuldigung, aber man erzählt nichts Gutes über Euch«, erklärte er. »Euer Wort könnte auch wertlos sein.«
Nichts Gutes? , schrie ihn seine Stimme aus jüngeren Jahren an. Du verfluchte, verräterische Hurenschlampe, du willst mich mit dir in den Untergang hinabreißen, willst, dass man meinen Namen in einem Atemzug mit deinem verflucht, willst mich vielleicht sogar zum Dunklen Ort schicken, damit du siehst, was dort auf dich wartet?
Er schwieg, ballte aber die Fäuste, um sich daran zu hindern, das Messer zu ziehen.
Ich bin vielleicht arm, aber ich bin verdammt noch mal kein Verräter … doch …
Aber ich habe Familie und besitze kaum genug, um sie über den Winter zu bringen. Und es gibt Gerüchte, dass die Elfen erneut angreifen werden, wenn der Sommer kommt. Das letzte Mal haben wir nur knapp überlebt. Die Vorreiter des Heeres haben uns im letzten Winter fast erwischt. Wäre Borens Junge nicht dem dummen Hund hinterhergelaufen, wären sie ohne Vorwarnung über uns gekommen …
»Nun, ich weiß nicht, wer Ihr seid«, sagte Boren und riss Kam damit aus den grausamen Erinnerungen an den letzten Winter. »Wie wäre es, wenn Ihr es mir verratet, damit ich bei diesem Handel mitreden kann?«
Sie hob das Kinn und sagte: »Ich bin die Witwe des Herzogs von Lomin.«
Boren schaffte es, sein überraschtes Aufzischen abzuschneiden. Jetzt musste er den Mund halten, denn Kam und er waren
schon ihr ganzes Leben lang Freunde, und er wusste, dass er Kams Verstand eher trauen konnte als seinem eigenen Temperament. So verschränkte er die Arme vor der Brust und senkte den Kopf. Kam kannte dies als Zeichen dafür, dass Boren die nächsten Worte später bereuen würde, sollte er sie denn aussprechen.
»Ich vermute, dass es nur eines gibt, was Ihr von uns wollt, aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie wir Euren Sohn aus dem Gefängnis befreien könnten. Wir sind nur zwanzig Mann, und ich bezweifle, dass Lord Isak Eurem Sohn viele Vergünstigungen zugestanden hat. Wenn er im Kerker der Stadt einsitzt, sind uns die gewöhnlichen Wachen schon drei zu eins überlegen
– und wenn er in den Zellen im Palast sitzt, ist uns eine ganze Einheit Geister im Weg.« Kam lehnte sich vor, wobei die Kiste unter ihm knackte. »Es tut mir wirklich leid, edle Dame, aber ich verstehe gar nicht, was Ihr von uns erwartet.«
»Ihr liegt richtig damit, dass mein Sohn im Palast gefangen gehalten wird«, sagte sie. »Aber seine Verhandlung wird entweder eine Sache der Öffentlichkeit sein, in welchem Fall sie im Tempel des Rechts auf dem Irienn-Platz stattfinden wird. Oder – wenn die Synode Erfolg mit ihren Bemühungen hat, den Prozess an sich zu reißen, wird er an einem noch zu bestimmenden Ort stattfinden — allerdings glaube ich nicht, dass es so weit kommt. Ich schicke morgen einen Mann zu euch, der die Baupläne des Tempels des Rechts mitbringt, wohin mein Sohn für die Verhandlung gewiss gebracht werden wird.«
»Dann ist Herzog Certinse nicht mehr im Palast, aber das nützt uns nicht viel. Sogar wenn Ihr uns eine ganze Kompanie Leibwachen schicken solltet, wären die Geister, die ihn bewachen, in der Überzahl. Ich frage darum erneut: Was sollen wir tun?«
Ihre Lippen
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