Sturmbote
seinem König vorbei zu einem toten Akolythen auf dem letzten Treppenabsatz, der ihn mit einem freigelegten, leeren Auge ansah. Die zerschlagene Maske war verrutscht und offenbarte das halbe Gesicht. Aus einem tiefen Schnitt an der Seite des Kopfes war aber so viel Blut gelaufen, dass er nicht erkennen konnte, ob die Leiche männlich oder weiblich war. Das silbergraue Haar war verklebt. Es war die gleiche Farbe wie bei jenem toten Mann, der noch immer in den Ruinen des Hauses lag, das dem Abt gehörte, aber es war nicht kurz geschoren, sondern lang und fließend.
Er roch und kämpfte gegen den Instinkt des Soldaten an, den Gestank einfach aus der Wahnehmung auszublenden. Der scharfe Geruch von Exkrementen erfüllte das Haus und überdeckte alles mit einem Übelkeit erregenden Gestank. Darunter konnte er noch den leichteren Geruch von Asche und Glut wahrnehmen, was der Mischung eine trockene Bitterkeit beifügte. Aber unter all dem lag außerdem noch etwas, kaum zu bemerken, wenn man nicht wusste, wonach man suchte.
Morghien hatte es als den Geruch überreifer Pfirsiche beschrieben, die man der Fäulnis überlassen hatte.
Dieser Geruch begleitete Rojak überallhin und erinnerte daran, zu was er geworden war. Bei der schicksalhaften Expedition nach Schloss Keriabral, die schließlich nur Cordein Malich und Morghien überlebten, war eine weitere Gestalt aus den Ruinen gekommen, nachdem der Schrecken beendet war. Doch sie war nicht länger ein Mensch gewesen. Der Barde, der darum gebeten hatte, mitkommen zu dürfen, um das berühmte Schloss zu sehen, hatte die Tage dort damit verbracht, voller Staunen durch die
Wälder mit Pfirsichbäumen zu wandern und Kinderlieder vor sich hinzusingen. Er war von sanftem Geist gewesen, ein großzügiger Mann – bis der Schatten eines Nachts zu ihm sprach, als die Monde hoch standen und der Geruch der Pfirsichblüten schwer in der Luft lag.
Doranei trat auf den anderen Fuß und erwartete, dass der König weitergehen würde, dieser blieb aber stehen und so wäre Doranei fast gegen ihn gelaufen. Coran folgte dicht hinter ihnen und das Scharren seiner Stiefel hallte von den engen Wänden wider. Da er sich nicht bewegen konnte, ohne mit einem von beiden zusammenzustoßen, balancierte Doranei auf einer Stufe, bis sich der König endlich wieder in Bewegung setzte.
Am Ende der Treppe sah er vier Leichen liegen, zwei weitere Akolythen, das letzte verschleppte Mitglied des Edlen Volkes und eine Frau in einer Lederrüstung. Doranei hatte sie im Theater gesehen, wo sie mit bemerkenswerter Schnelligkeit und Anmut getanzt hatte. Es war ein merkwürdiger Anblick, sie so zerschlagen und verunstaltet neben dem elfenbeinhäutigen Mann aus dem Edlen Volk liegen zu sehen. Beide waren schwer verletzt worden, und sogar die Akolythen, die letztlich doch nur Menschen gewesen waren, hatte man übel zugerichtet. Doranei wusste, wie wenig nötig war, um einen Mann zu töten. Und dies hier ging weit darüber hinaus.
Rojaks verfluchte Wachen waren in Stücke gehackt worden, während der Barde auf seinem Stuhl saß und sich die Zerstörung ansah, die er herbeigeführt hatte. Noch immer konnte Doranei vom Barden nicht mehr ausmachen als sein schweißnasses, schwarzes Haar, das auf eine Seite gefallen war und seinen Kopf dadurch seltsam unförmig erscheinen ließ. Vielleicht war er doch schon tot.
Doranei schüttelte den Kopf, als könne er damit die Schrecken vor seinen Augen daraus vertreiben. Er hatte so etwas schon einmal
gesehen, diese Gefühllosigkeit bei einem Mann, der keine Reue kannte. Rojak hatte vermutlich gelacht, während seine Gefolgsleute niedergemacht worden waren, obwohl er wusste, dass sein eigener Tod kurz darauf folgen würde. Doranei hatte die bedauernswerten Überreste Disteltals gesehen. Dies war das Dorf, von dem die Überlebenden aus Scham darüber, wozu Rojak sie gebracht hatte, jede Spur getilgt hatten, und er wusste, dass es für den Barden nichts Schöneres gab als das Leid anderer. Er bezweifelte, dass sogar Azaers Ziele jetzt noch von Bedeutung für Rojak waren. Es blieb nur die Freude, dem Land weiteren Schmerz zuzufügen, und dies auch nur, weil es ihm Spaß machte.
»Wollt Ihr nicht hereinkommen?« Auf das atemlose Flüstern der Gestalt auf dem Stuhl folgte ein rasselndes Keuchen. Es war das Gelächter eines kranken, alten Mannes, der seine letzten Freuden genoss.
Der König antwortete nicht, aber die Worte sorgten dafür, dass er durch den Raum ging. Doranei suchte sich
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