Sturmbote
Augenwinkel gewahrte er eine Bewegung, ein dunkles Flattern in den dunklen Weiten der Bühne. Die Erinnerung an Abt Corcis Hautbilder holte ihn ein, an die Federn auf Dohles Wangen und Stirn, die wie ein aufgemalter Helm wirkten.
Mayel wandte sich zur Flucht. Shandek rief seinen Namen und streckte die Hand nach ihm aus, aber Mayel entzog sich seinem Griff, von der Angst erfüllt, die in den vergangenen Wochen sein ständiger Begleiter gewesen war. Er befürchtete verfolgt zu werden und musste sich umsehen. In der Grube waren nur leere Schatten zu sehen. Die langen Treppen, die hinabführten, lagen in der Sonne, nur der oberste Teil wurde vom Schatten des Daches verschluckt.
Etwas ließ Mayel innehalten. Die Scharte in der abgelaufenen Stufe. Der ununterbrochene Rand des Schattens. Der Schatten des Gebäudes hinter Rojak. Er blickte erneut auf. Der Barde hatte sich nicht bewegt. Sein Kopf wurde noch immer vom hellen Licht der Morgensonne beleuchtet, die hinter ihm aufging und sein Gesicht in Schatten hüllte.
Als er Mayels gehetzten Ausdruck bemerkte, lächelte Rojak kalt und entblößte seine kleinen, scharfen Zähne.
»Wo … wo ist sein Schatten?«, murmelte Mayel unverständig. Er blickte erneut zum geraden Rand des Schattens, den das Dach hinter Rojak warf. Ein Schauder lief ihm über den Rücken. Er unterdrückte einen Schrei, winkte seinem Vetter und floh dann, als würden die Einwohner Ghennas seinen Namen rufen.
11
»Ich glaube, ich könnte mich daran gewöhnen, Herr über alles zu sein, soweit das Auge reicht.«
Tila, die neben Isak ritt, kicherte. Die Sommersonne neigte sich dem östlichen Horizont zu und warf die Schatten der Erlen am Straßenrand lang und dunkel über sie. Isak betrachtete den Wechsel von Licht und Dunkel auf den Reitern an der Spitze. Er veränderte erneut den Sitz im Sattel, denn er fühlte sich in der formalen Reitkluft, die Tila ihm heute Morgen zu tragen geradezu befohlen hatte, nicht recht wohl. Und er wollte verdammt noch mal sichergehen, dass sie dies auch bemerkte.
»Ich glaube, Ihr habt Euch bereits daran gewöhnt, mein Lord«, antwortete Tila und warf ihr offenes Haar über die linke Schulter, um die Berührung der Sonne auf ihrer Haut zu genießen. »Ihr wirkt nicht mehr peinlich berührt, wenn Euch ein Regiment Salut entbietet. Ich würde sagen, dass Ihr Euch bereits besser mit Eurem Titel angefreundet habt, als es bei Lord Bahl jemals der Fall war. Er nahm mit seiner Ausstrahlung zwar wie kein Zweiter einen Raum in Beschlag, aber tief im Herzen war er zu bescheiden, um ein Reich beherrschen zu wollen.«
»Bescheiden?«, fragte Isak. »Das wäre nicht das Erste, was mir zu ihm einfiele, aber du hast vermutlich recht. Zu herrschen ist eine Last. Ich glaube, als General des Heeres wäre er glücklicher gewesen, weil er sich dann nicht mit dem Rest der Gesellschaft
hätte befassen müssen. Das hier mag nicht mein Traum gewesen sein, aber es ist eine angenehme Alternative.«
»Alternative zu was?« Tila lachte.
»Oh, ich weiß nicht. Ich habe nie so recht gewagt, über die Zukunft nachzudenken. Vater hat schon geringschätzig geschnaubt, wenn ich nur erwähnte, dass ich den Geistern beitreten wollte, und so wuchs ich wohl mit der Gewissheit auf, dass ich nicht viel zu erwarten hätte. Ich lernte bald, still zu sein. Andere Leute hatten eine Zukunft, ich aber nicht.«
»Und jetzt seid Ihr Lord all dessen, was das Auge erblickt.« Tila zögerte.
Isak bemerkte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. »Was ist?«, fragte er sanft.
»Es ist beinahe ein Jahr her, dass Ihr Euren Vater zuletzt gesehen habt. Ich weiß, dass Ihr euch nicht im Guten getrennt habt, aber er ist Eure Familie und Ihr seid nun der größere Mann. Wird es nicht Zeit, dass Ihr ihn wiedertrefft, um die Dinge ins Lot zu bringen?«
Isak seufzte und sein normalerweise aufbrausendes Wesen wurde durch den schönen Tag gezähmt. »›Du bist für mich gestorben‹, das sagte er zu mir, am Tag nachdem ich im Palast ankam. Wenn er mich nicht sehen will, kann ich daran wenig ändern und ich habe nicht vor, mich darüber zu grämen.«
»Aber er sprach diese Worte überhastet, nach einem Abend im Suff. Wie oft schon habt Ihr etwas bereut, das Ihr sagtet?«
»Niemals«, sagte Isak.
Tila hob eine ihrer hübschen Augenbrauen. »Vor zwei Wochen befahlt Ihr mir, meinen fetten … nun, wir wollen es nicht wiederholen, oder? Aber ich denke, wir sind uns einig, dass Ihr es recht bald bereut habt.«
Isak musste
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