Sturmherz
schärfer. Ich kann ihre Körper wittern.“
„Scheiße. Und was jetzt?“
Louan antwortete nicht. Er zog seine Kleidung aus, legte die Armbänder ab und fischte das Fell aus der Tasche. Dann hob er mühelos einen der großen Steine an, legte Kleidung und Tasche darunter ab und ließ ihn wieder sinken.
„Mari?“
„Ja?“
„Wenn ich nochmal so aufdringlich werde, haue mir eine runter. Versprich mir das. Schlag mich. Nenn mich einen Schwächling, der sich nicht unter Kontrolle hat.“
Ich stöhnte. „Hau lieber ab. Aber pass auf. Wenn sie sehen, wie du dich verwandelst, sind wir am Arsch.“
„Keine Sorge. Sie werden gar nichts sehen.“
„Du hast noch deine Muschel um. Ich glaube kaum, dass sie verwandlungskompatibel ist.“
Er grinste, zog sie mit einem Ruck vom Hals und ließ sie in meine ausgestreckte Hand fallen. Jede seiner Bewegungen schnurrte vor Anmut, jeder Muskel trat wie gemeißelt hervor. Louans Augen glühten, als er mich noch einmal anstarrte. Der Hunger in seinem Blick spottete jeder Beschreibung.
Hitze schoss in meinen Unterleib, und seine Nasenflügel weiteten sich, als könne er wittern, was sein Anblick in mir auslöste.
Entgegen aller Vernunft sehnte ich mich danach, dass er mich erneut packte und an den Felsen presste. Dass er meine Seufzer mit seinen Lippen trank und den Hunger stillte.
„Ich muss gehen.“ Seine Stimme drang tief in mich ein. „Bleib bei deinen Freuden. Lauf nicht alleine herum, bis ich wieder zurück bin. Ich weiß nicht, wie lange Raer sich noch zurückhält. Aber wenn ich ihn spüre, werde ich ihn aufhalten und töten.“
Angst schnürte meine Kehle zu.
Ich quetschte Lederband und Muschel in meiner Faust zusammen. „Ist es nicht besser, wenn du bleibst?“
„Ich kann nicht. Ich muss weg. Sonst passiert ein Unglück.“
„Louan, ich …“
Er fuhr herum, war mit wenigen Sätzen am Wasser und hechtete hinein. Binnen zweier Sekunden war er verschwunden. Der rasende Schlag meines Herzens erfüllte die Nacht, war selbst lauter als das Rauschen der Wellen. Es fühlte sich an, als risse mich etwas in zwei Hälften.
~ Dr. Aaron Welsh ~
Wie grüne Geister schimmerten die Gestalten in der Dunkelheit. Der Selkie und das Mädchen waren leicht von den anderen zu unterscheiden, denn beide trugen weiße Hemden, die sich hell leuchtend von allem abhoben. Es war ihm nur wenige Augenblicke lang vergönnt, durch das Nachtsichtgerät zu blicken, ehe Ruth es ihm schon wieder aus der Hand riss.
„Er glaubt, er könnte uns täuschen“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Aber er unterschätzt unsere Geduld.“
„Geduld hin oder her“, zischte Aaron. „Wir müssen zurück. Die ganze Arbeit bleibt liegen. Wie sollen wir das je wieder aufholen? Ich bin nicht wie du. Mich werfen sie raus, ohne mit der Wimper zu zucken.“
Ruth fuhr zu ihm herum. Sie musste nichts sagen, ihr sengender Blick brachte ihre Gedanken deutlich genug zum Ausdruck: Geh doch, du Idiot, wenn dir die Hosen flattern.
„Jetzt krieg dich wieder ein“, raunte sie. „Ich habe denen gesagt, dass ich dich bis auf Weiteres brauche. Sie können dich nicht rausschmeißen. Nicht, solange du mein persönlicher Assistent bist.“
Die unterschwellige Warnung war unmissverständlich. Aarons anfängliche Erregung war längst zu einem Gefühl permanenter Übelkeit abgeflaut, obwohl oder vielleicht auch gerade weil er inzwischen begriffen hatte, dass diese Selkiegeschichte nicht auf einer Fälschung beruhte. Und weil Ruth das auch wusste, würde sie niemals aufgeben. Selbst wenn es bedeutete, die Welt in eine Katastrophe zu stürzen.
Dieser Bursche glaubte nicht nur, sie an der Nase herumführen zu können, er tat es auch. Seine Tarnung war perfekt. Hinzu kam die bemerkenswerte Vorsicht und Klugheit des Mädchens. Als die beiden im Hafencafé gesessen hatten und Ruth bereits frohlockte, sich den benutzten Becher des Selkies zu krallen, um ihn auf DNS-Spuren zu untersuchen, war ihr Plan durch Mari vereitelt worden. Sie hatte den Becher genommen, ebenso das vom Jungen benutzte Besteck und den Teller, und alles in der Küche abgeliefert, wo es unmöglich war, aus den Bergen an Geschirr eine bestimmte Tasse herauszufischen. Ruths Hoffnung, irgendwo ein ausgefallenes Haar des Selkies zu finden, versickerte ebenfalls in Aussichtslosigkeit. Möglicherweise fielen diesem Wesen einfach keine Haare aus.
Was sie auch versuchten, alles verlief im Sande, und jetzt war Ruth kurz davor, etwas
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