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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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täglich vor; Samantha brauchte keine weiteren Erklärungen, um zu wissen, was dieser Patientin fehlte.
    Mit der Zeit beruhigte sich die Frau ein wenig. Sie wandte Samantha ihr rundes Gesicht zu. »Sie verstehen mich doch, nicht wahr?«
    »Aber ja.« In einer Gesellschaft, die die Frauen in strenge moralische Konventionen einschnürte, in der es schon als unanständig galt, wenn eine Frau nur ein kleines Stück Bein sehen ließ, ertrugen die meisten Frauen lieber ihre intimen Leiden, als sich der Untersuchung durch einen Arzt zu unterwerfen.
    »Sie wurde in der Nacht mit akuten Leibschmerzen gebracht«, sagte Dr. Miles gereizt. »Es könnten Wehen sein, aber diese dumme Person weiß nicht einmal, ob sie schwanger ist oder nicht.«
    »Glauben Sie, die Schmerzen könnten Geburtswehen sein?« fragte Samantha die Frau freundlich.
    »Ich weiß nicht.«
    »Haben Sie Kinder?«
    »Ja. Neun.«
    Samantha überlegte einen Moment. »Wir müssen Sie untersuchen, damit wir feststellen können, was Ihnen fehlt –«
    »Nein! Ich laß mich nicht von einem wildfremden Mann anfassen.«
    »Ich bin Ärztin. Wie wäre es, wenn ich Sie untersuche?«
    {222} Die Frau machte große Augen. »Sie sind Ärztin?«
    »Augenblick mal –«
    Samantha sah zu Dr. Miles hinauf. »Ich glaube, die Patientin wird sich von mir untersuchen lassen, Doktor. Wenn Sie es gestatten, kann ich, denke ich, in kürzester Zeit feststellen, wo das Problem liegt.«
    Die Frau flüsterte: »Aber er soll weggehen.«
    »Könnten Sie uns einen Moment allein lassen?«
    Sichtlich empört ging Dr. Miles einige Schritte vom Bett weg.
    »Was tun Sie jetzt?« fragte die Frau und faßte ängstlich Samanthas Hand.
    »Ich untersuche Sie ganz schnell unter der Decke. Niemand wird etwas sehen, ich verspreche es Ihnen. Bitte versuchen Sie jetzt, sich zu entspannen …«
    Ein paar Minuten später trat Samantha zu Dr. Miles. »Sie hat einen Gebärmuttervorfall, Sir.«
    »Hm. Zweifellos von ihrem Korsett. Sie war ja so eingeschnürt, daß sie kaum noch Luft holen konnte, die alberne Person.«
    »Dr. Hargrave.« Silas Prince stand an der Tür zum Saal. »Kommen Sie bitte in den Korridor hinaus. Ich habe mit Ihnen zu reden.«
    Draußen sagte er scharf: »Sie hatten keinerlei Recht, sich da einzumischen. Die Frau gehört nicht zu unseren Patientinnen.«
    »Aber sie brauchte Hilfe, und Dr. Miles erreichte gar nichts.«
    »Sie war ja auch völlig hysterisch. Was war da anderes zu erwarten?«
    »Sicher, aber Anschreien hilft da nichts.«
    »Sehr häufig ist das die einzige Möglichkeit, um mit solchen Frauen fertigzuwerden. Man muß streng sein, ihnen zeigen, wer der Herr ist. Dieses hysterische Getue behindert nur unsere Arbeit als Ärzte.«
    Samantha sagte nichts.
    »Ich verbiete Ihnen hiermit, sich noch einmal in die Angelegenheiten anderer Ärzte einzumischen, Dr. Hargrave. Sie können froh und dankbar sein, daß Dr. Miles ein nachsichtiger Mann ist.«
    Als er sich zum Gehen wenden wollte, hielt Samantha ihn auf. »Verzeihen Sie, Sir, ich würde gern noch etwas mit Ihnen besprechen, was mir sehr wichtig ist.«
    Gereizt drehte er sich noch einmal um, doch Samantha ließ sich von seiner offen gezeigten Ungeduld nicht irritieren. Sie sprach ruhig und langsam, ohne jede Unsicherheit. »Mein Name steht nicht auf der Chirurgieliste, Dr. Prince. Ich bin jetzt acht Wochen hier, war auf sämtlichen Stationen außer der Chirurgie und stelle fest, daß ich jetzt wieder für die Entbindungsabteilung eingeteilt bin, wo ich angefangen habe. Meine {223} nächste Station müßte aber die Chirurgie sein. Liegt da vielleicht ein Versehen vor, Sir?«
    »Nein, es handelt sich keineswegs um ein Versehen, Dr. Hargrave. Zur Chirurgie werden Sie nicht zugelassen.«
    Da sie mit dieser Antwort gerechnet hatte, gelang es ihr, ihren Zorn zu beherrschen. »Dr. Prince, das ist doch eine ungerechte Benachteiligung. Warum läßt man mich nicht in den Operationssaal?«
    »Weil er kein Ort für eine Frau ist. Die Chirurgie, Dr. Hargrave, ist eine Domäne des Mannes. Frauen fehlen die körperlichen Voraussetzungen für diese Arbeit.«
    »Da kann ich nicht zustimmen –«
    »Es fällt mir nicht ein, Dr. Hargrave, mich hier mit Ihnen auf Diskussionen einzulassen, die sowieso fruchtlos sind. Frauen sind nicht dazu disponiert, im Operationsaal zu arbeiten.«
    »Mir wurde aber zugesichert, daß ich sämtliche Stationen durchlaufen würde, wie alle Assistenzärzte.«
    »Es geht hier nicht um Sie, Dr. Hargrave. Es geht um die

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