Sturmjahre
Patienten. Sie wären eine Gefährdung für ihre Sicherheit.«
Dr. Prince, der es liebte, seine Worte mit dramatischen Gesten zu unterstreichen, machte auf dem Absatz kehrt und ging davon, ohne Samantha noch eines Blickes zu würdigen.
Sie nahm sich einen Moment Zeit, um ihre innere Ruhe wiederzugewinnen, ehe sie zu den Patienten zurückkehrte. Sie hatte gewußt, daß die Diskussion so ausgehen würde, aber sie war nicht gewillt, es dabei bewenden zu lassen. Sie wußte noch nicht, was sie unternehmen würde, aber irgendwie würde sie es schaffen, in die der Chirurgie einzudringen.
Gerade als sie gehen wollte, sah sie am Ende des Korridors ein elegantes Paar um die Ecke biegen, das im grauen Mief des Krankenhauses völlig fehl am Platz wirkte. Der hochgewachsene Mann im maßgeschneiderten Rock hielt sich sehr gerade, bewegte sich aber dabei doch mit der lässigen Selbstsicherheit des Aristokraten. Das unkonventionell lange Haar fiel ihm leicht gewellt bis auf die Schultern. Die Frau an seiner Seite, im mitternachtsblauen Seidenkleid, das weizenblonde Haar zur eleganten Hochfrisur aufgetürmt, war vielleicht zwei- oder dreiundzwanzig Jahre alt und sehr schön. Das also war Mrs. Rawlins.
Samantha hätte am liebsten kehrtgemacht und wäre davongelaufen, statt dessen stand sie wie angewurzelt.
»Dr. Hargrave«, sagte Mark Rawlins lächelnd und verneigte sich leicht, während das Gesicht seiner Begleiterin bei Samanthas Anblick merklich kühl wurde.
{224} »Guten Tag, Dr. Rawlins«, erwiderte Samantha. »Das ist eine nette Überraschung.« Sie war so aufgeregt, daß sie Mühe hatte, ruhig zu sprechen.
»Für mich kommt unsere Begegnung gar nicht so überraschend, Dr. Hargrave«, entgegnete er. »Im Gegenteil, ich hatte sie fast erwartet.«
»Ach? Und woher wissen Sie, daß ich am St. Brigid’s bin?«
Er lachte. »Aber Dr. Hargrave, die ganze Stadt redet von nichts anderem als der tollkühnen Ärztin, die diese von Männern gehütete Festung gestürmt hat. Die einen schildern Sie als streitbare Amazone, die anderen als Hexe. Und Ihnen ist es zu verdanken, daß mittlerweile sämtliche Krankenhäuser der Stadt von Ärztinnen belagert werden. Sie haben für eine Menge Wirbel gesorgt, Dr. Hargrave.«
Sie lachten beide. Seine Begleiterin, das Gesicht weiterhin kühl und unbewegt, nahm seinen Arm etwas fester.
»Ach, entschuldigen Sie, meine Damen«, sagte er, »ich bin wirklich ein ungehobelter Bursche. – Janelle, darf ich dich mit der unerschrockenen Dr. Samantha Hargrave bekanntmachen?«
Janelle lächelte nicht einmal. »Freut mich«, sagte sie frostig.
»Ganz meinerseits, Mrs. Rawlins.«
Mark sah sie einen Moment verblüfft an, dann rief er lachend: »Da habe ich ja ein schönes Kuddelmuddel angerichtet. Die Dame ist Miss MacPherson, Dr. Hargrave, eine gute alte Freundin.«
Samantha hatte den Eindruck, daß die ›gute, alte Freundin‹ über diese Charakterisierung nicht sonderlich erfreut war.
»Ach, verzeihen Sie den Irrtum, Miss MacPherson. Ich hielt Sie für Mrs. Rawlins.«
Janelle nickte nur distanziert, doch Mark schien sehr erheitert. »Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, daß ich verheiratet sei, Dr. Hargrave?«
»Sind Sie es denn nicht?«
»Meines Wissens nicht, nein.«
»Oh, das ist mir wirklich peinlich, Dr. Rawlins. In Lucerne fragte Dr. Jones doch nach der Feier nach Mrs. Rawlins.«
»Ach so. Er meinte meine Mutter. Sie hatte mich eigentlich begleiten wollen, aber dann fühlte sie sich nicht wohl genug für die Reise.« In seinen braunen Augen blitzte es amüsiert. »Sie glaubten also, ich sei verheiratet –«
»Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Dr. Hargrave«, unterbrach Janelle das Gespräch in etwas scharfem Ton. »Mark, Darling, wir werden uns verspäten.«
{225} Er tätschelte zerstreut ihre Hand, die auf seinem Arm lag. »Nur einen Augenblick noch, Janelle. – Dr. Hargrave, ich hatte eigentlich erwartet, daß Sie mich besuchen würden, um Ihr Erbe abzuholen.«
»Ich hatte die ganze Zeit sehr viel zu tun, Dr. Rawlins. Aber ich werde mich melden, sobald sich eine Gelegenheit bietet. Es macht Ihnen doch hoffentlich keine Mühe, die Sachen für mich aufzubewahren.«
»Keineswegs. Aber nun sagen Sie mir noch, wie Ihnen der Krankenhausalltag gefällt.«
»Ach, es ist natürlich viel Arbeit, aber auch sehr interessant und anregend.«
Mark sah sie mit einem unergründlichen Ausdruck an. »Ein aufregendes Leben, wie?«
»In mancher Hinsicht, ja, in anderer,
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