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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Mitte des Saales, als Silas Prince längst gegangen war und die übrigen Ärzte ihm verlegen und voll Unbehagen gefolgt waren. Am Schluß war nur noch Mark Rawlins da.
    »Ich danke Ihnen, daß Sie mir helfen wollten, Dr. Rawlins«, sagte Samantha, sich ihm zuwendend. »Ich verstehe allerdings nicht, wie Sie auf den Gedanken kamen, daß ich Hilfe brauchte.«
    Mark sah sich einmal rasch in der Kantine um, und als er sah, daß sie allein waren, antwortete er: »Als ich heute in den frühen Morgenstunden aus dem Krankenhaus kam, sah ich Sie dort auf der Treppe stehen.«
    {233} Sie runzelte wie verwundert die Stirn. »Ich verstehe nicht.«
    »Natürlich konnten Sie Dr. Prince nicht sagen, warum Sie nicht zu der Soiree erschienen waren; weil Sie den Abend mit einem Freund verbracht hatten.«
    »Mit einem Freund? Ach so, Sie meinen Luther. Er ist der Mann meiner Freundin. Er hat mich nach der Entbindung ins Krankenhaus zurückbegleitet.« Samantha begriff plötzlich. »Ach, und Sie dachten –« Beinahe hätte sie gelacht. »Nein, Dr. Rawlins, da hat der Schein getrogen. Es war wirklich nett von Ihnen, mir helfen zu wollen, aber das muß ich alleine durchstehen.«
    »Aber die Entlassung ist doch bitter für Sie. Was haben Sie jetzt vor?«
    »Das weiß ich noch nicht. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß er so böse reagieren würde.«
    »Darf ich Ihnen noch einmal meine Hilfe anbieten?«
    Samantha sah in sein lächelndes Gesicht und glaubte einen Moment lang, er wolle sich über sie lustig machen. Dann aber erkannte sie die echte Teilnahme in seinem Blick.
    »Der Direktor am St. Luke’s Krankenhaus schuldet mir eine Gefälligkeit –«
    »Vielen Dank, Dr. Rawlins, aber ich würde mich auf einer Stelle, die ich nur aufgrund persönlicher Beziehungen bekommen habe, nicht wohlfühlen.«
    Er bewunderte ihren Stolz und ihren Mut, aber er sah auch ihre Verletzlichkeit.
    »Bitte weisen Sie mein Angebot nicht so hastig zurück. Es ist kein Zeichen von Schwäche, einen Freund um Hilfe zu bitten.«
    Sie sah ihm in die warmen braunen Augen und fühlte sich beinahe unwiderstehlich zu ihm hingezogen. »Sie haben leider recht, Dr. Rawlins«, sagte sie leise. »In meiner jetzigen Lage brauche ich wirklich alle Hilfe, die ich bekommen kann.«
    »Soll ich einmal mit Prince sprechen?«
    »Ich glaube nicht, daß das Sinn hätte.«
    »Dann lassen Sie mich mit dem Direktor am St. Luke’s sprechen, Dr. Hargrave. Es ist ein gutes Krankenhaus. Sie würden dort sicher eine Menge lernen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Hilfe, Dr. Rawlins, aber ich weiß im Augenblick überhaupt nicht, was ich eigentlich will. Ich muß das erst einmal für mich selbst klären.«
    »Gut. Sie haben meine Adresse. Zögern Sie bitte nicht, mit mir Verbindung aufzunehmen. Ich bin immer für Sie da.«
    {234} Als Samantha fertig gepackt hatte, setzte sie sich hin und zählte noch einmal ihr Geld. Leider wurde es nicht mehr. Sie hatte genau noch 29 Dollar und 47 Cents.
    Als es klopfte, öffnete sie die Tür und sah sich Dr. Princes Sekretär gegenüber.
    »Dr. Hargrave«, sagte der junge Mann, »ich soll Ihnen ausrichten, daß Sie bis zum Ende der Ausbildung am St. Brigid’s bleiben können.«
    Samantha sah ihn erstaunt an. Dann erwiderte sie: »Bitte sagen Sie Dr. Prince, daß ich das gern von ihm persönlich hören möchte.«
    Fünf Minuten später wurde sie in Silas Princes Büro gerufen.
    »So, nun habe ich es Ihnen persönlich mitgeteilt«, sagte er, mit dem Rücken zu ihr am Fenster stehend.
    »Was hat Sie bewogen, Ihren Entschluß zu ändern?«
    Silas Prince drehte sich um. Sein Gesicht war unwirsch. »Das St. Brigid’s hat die Spende, auf die wir gehofft hatten, erhalten, Dr. Hargrave. Unter besonderer Würdigung der Tatsache, daß Sie an diesem Krankenhaus tätig sind. Die Entscheidung der Damen war bereits vor der gestrigen Veranstaltung gefallen.« Er kam um seinen Schreibtisch herum und blieb vor ihr stehen. »Dr. Hargrave, im Interesse dieses Krankenhauses bin ich bereit, Konzessionen zu machen und gewisse persönliche Prinzipien zu opfern. Aber ich warne Sie, Dr. Hargrave: Ich werde diesen Zwischenfall nicht vergessen. Fordern Sie mich also nicht wieder heraus!«

5
    Auf den regnerischen Herbst folgte ein klirrend kalter Winter. Alle verfügbaren Decken wurden gebraucht, um die Patienten warmzuhalten, und die Öfen in den Krankensälen schwängerten die Luft mit beißendem Qualm. Samantha fühlte sich wie von der Außenwelt

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