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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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hatte, brach sich neue Bahn – das Bewußtsein, wie sehr sie Mark Rawlins liebte.
    »Ich habe Nachtdienst«, hörte sie sich sagen. »Wie geht es Ihnen, Dr. Rawlins? Sie haben uns allen sehr gefehlt.«
    »Sie mir auch. Ich war völlig abgeschnitten von der Welt. Sechs Monate lang habe ich praktisch wie ein Gefangener im Haus meiner Eltern gesessen und zusammen mit meinen Brüdern versucht, den absolut verworrenen Nachlaß meines Vaters zu ordnen.«
    »Das tut mir leid.«
    »Nicht nötig«, erwiderte er. »Mein Vater war ein egoistischer alter Tyrann, der lange genug die Welt nach seiner Pfeife tanzen ließ. Es wurde nicht eine einzige Träne vergossen, glauben Sie mir.«
    »Um so schlimmer.« Samantha sah auf seine kräftige Hand hinunter, die immer noch ihre Hand festhielt, und wünschte sich, dieser Moment würde nie vergehen.
    »Ich bin eben erst zurückgekommen«, bemerkte er. »Hier wird wahrscheinlich auch eine Menge Arbeit auf mich warten.«
    »Möchten Sie eine Tasse Tee mit uns trinken, Doktor?«
    »Ich kann leider nicht, Dr. Hargrave. Ich bin nur gekommen, um Sie zu bitten, morgen abend in einer Woche mit meiner Familie und mir zusammen zu Abend zu essen.«
    »Oh. Danke, die Einladung nehme ich sehr gern an.«
    Schweigend, ein Lächeln, das sie nicht deuten konnte, auf dem Gesicht, sah er sie an. »Wie gefällt Ihnen die Arbeit mit Landon?«
    »Ich bin wunschlos glücklich. Und das habe ich Ihnen zu verdanken.«
    »Unsinn. Das haben Sie sich verdient«, entgegnete er. Immer noch sah er {248} sie mit diesem unergründlichen Lächeln an, und Samantha spürte, wie ihr die Knie weich wurden. »Jetzt muß ich leider gehen«, sagte er leise. »Der Wagen holt Sie um acht Uhr ab.« Er drückte ihre Hand. »Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich auf den Abend freue.«

7
    Samantha hatte gewußt, daß die Familie Rawlins sehr begütert war, doch sie hatte nie viel darüber nachgedacht. Aber als sie das elegante Haus in der Madison Avenue betrat, die erlesenen Möbel sah, die Gemälde, die funkelnden Leuchter und die kostbaren orientalischen Teppiche, verschlug es ihr einen Moment den Atem. Wider Willen eingeschüchtert, folgte sie dem Butler in den großen Salon und blieb mit dem Gefühl stehen, daß sie hier völlig fehl am Platz war. Aber dann sah sie Mark in lebhaftem Gespräch mit Janelle am Kamin stehen, und ihr Kampfgeist erwachte.
    Der junge Mann am Klavier blickte auf, und die heitere Polonaise, die er gespielt hatte, brach mit einem Mißton ab. Alle Köpfe wandten sich zur Tür, und als der Butler Samantha mit lauter Stimme meldete, kam sie sich vor wie bei einem großen Auftritt auf der Bühne.
    »Dr. Hargrave! Wir haben uns schon Gedanken gemacht. Was hat Sie aufgehalten?« Mark nahm ihren Arm und führte sie ins Zimmer.
    »Verzeihen Sie die Verspätung, Dr. Rawlins, aber ich mußte in letzter Minute noch zu einer Patientin. Ich hoffe, ich habe Ihre Pläne nicht durcheinandergebracht.«
    »Aber gar nicht«, versicherte der junge Mann am Klavier in leicht affektiertem Tonfall und kam mit lässigem Schritt auf sie zu. »Pünktlichkeit ist etwas entsetzlich Spießiges.«
    »Dr. Hargrave, darf ich Sie mit meinem Bruder Stephen bekannt machen?«
    Die Ähnlichkeit zwischen den Brüdern war nicht sehr ausgeprägt. Stephen war vielleicht zu schön, das Gesicht zu ebenmäßig, und in seinem Lächeln entdeckte Samantha einen Hauch von Eitelkeit. Als er ihr zur Begrüßung einen Handkuß gab und dabei die Hacken zusammenschlug, bemerkte Mark: »Stephen ist erst vor kurzem aus Europa zurückgekommen.«
    Henry und Joseph Rawlins, die beiden anderen Brüder, waren jünger als Mark, aber älter als Stephen. Samantha schätzte sie auf Ende zwanzig: gutaussehende, wohlerzogene junge Männer, denen dennnoch das Be {249} sondere fehlte, das Mark auszeichnete. Hinter ihrem verbindlichen Lächeln meinte Samantha Leere zu spüren. Von ihren beiden Ehefrauen hatte Samantha den Eindruck, daß sie unaufhörlich miteinander konkurrierten.
    Zuletzt begrüßte sie Letitia und Janelle.
    »Wir warten noch auf meine Mutter«, sagte Mark und führte Samantha zu einem Sofa.
    Einen Moment lang herrschte etwas verlegenes Schweigen, dann nahmen Joseph und Henry ihr früheres Gespräch wieder auf, ihre Frauen versuchten von neuem, sich gegenseitig mit drolligen Anekdoten über ihre Kinder zu übertreffen, und Letitia setzte sich ans Klavier und klimperte einen modernen Song, dessen Text zu risqué war, um ihn in dieser Gesellschaft

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