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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Besuche in der Kapelle waren wichtig für sie – wenn sie mit Ängsten zu kämpfen hatte, wenn die Einsamkeit sie zu überwältigen drohte, wenn die Sehnsucht nach der Vergangenheit allzu stark wurde. Hier fand sie Ruhe und Trost.
    Als Ärztin im Arbeiterviertel von San Francisco hatte Samantha es zunächst schwer gehabt; als schwangere Frau ohne Ehemann und Familie hatte sie es doppelt schwer gehabt. Aber sie hatte gar nicht erwartet, daß die Stadt am Golden Gate sie mit offenen Armen aufnehmen würde. Als erstes hatte sie sich eine Wohnung in der Kearny Street gemietet, dann hatte sie langsam begonnen, sich ihre Praxis aufzubauen. Anfänglich waren ihr die Leute mit Mißtrauen und Argwohn begegnet; die meisten ›Ärztinnen‹ in San Francisco waren Engelmacherinnen. Aber allmählich sprach es sich herum, daß hier eine Ärztin war, die einem wirklich half, und die ersten Patientinnen kamen, Arbeiterinnen vor allem, aber auch Prostituierte, von denen manche bezahlten, viele aber auch nicht.
    Es gab Nächte, da konnte Samantha vor Kummer und Heimweh nach New York nicht schlafen. In dieser Zeit hatte sie die Mission entdeckt. Ihr alter Kampfgeist war wieder erwacht. Ihre Praxis gedieh, und in finanzieller Hinsicht wurde ihr Leben einfacher.
    Sie hatte ihr Kind ganz allein in ihrem Schlafzimmer zur Welt gebracht und sofort gesehen, daß es Marks große braune Augen hatte. Als Clair ein Jahr später an Diphtherie erkrankt war, hatte Samantha in ihrer Not und Verzweiflung einen Luftröhrenschnitt gemacht, um ihr Kind vor dem Ersticken zu bewahren, aber es war zu spät gewesen. Das kleine {281} Mädchen war auf einem Friedhof hoch über dem Ozean begraben, aber Samantha besuchte das Grab nie. Clair war nicht dort in dem Grab, sie war in ihrem Herzen und sie war hier, in der liebenden Obhut der Madonna.
    Sie gingen durch den sommerlichen Garten der Mission. An den weißgetünchten Mauern leuchtete das Purpur und Scharlachrot der Bougainvillea, und um die alten Grabsteine wucherten üppig Hibiskus und Fuchsien.
    Während Samantha mit Jenny an der Hand den Kiesweg entlangging, spürte sie, wie ihr Herz sich in der Sommersonne weitete. Nach den ersten Wochen der Niedergeschlagenheit und des Schmerzes waren ihre angeborene Zuversicht und ihr Lebensmut wieder erwacht. So sehr sie anfänglich unter Heimweh gelitten hatte, hatte sie doch niemals daran gedacht, nach New York zurückzukehren. Zurückzugehen war keine Lösung; sie mußte vorwärtsgehen, ihrer Bestimmung und besseren Zeiten entgegen.
    Mit Landon Fremont hatte sie in den ersten Wochen rege korrespondiert, aber als er nach Wien übergesiedelt war, um dort zu unterrichten, waren seine Briefe immer seltener gekommen, und nun hatte sie schon lange nichts mehr von ihm gehört. Auch der Kontakt zu Louisa und Luther, die mit ihren beiden Kindern nach Deutschland gegangen waren, war abgerissen. Es gab kein Band mehr, das sie mit New York verknüpfte.
    Samantha akzeptierte es ruhig, daß dieser Abschnitt ihres Lebens, der mit soviel Kampf und Bitternis, aber auch mit den schönsten Erinnerungen ihres Lebens verbunden war, beendet war. Sie hatte San Francisco liebgewonnen. Nur selten blickte sie zurück – an besonderen Tagen nur. Dann sah sie auf den Kalender und dachte: Heute ist Marks Geburtstag, er wäre dreiunddreißig geworden; oder, heute vor vier Jahren ist die
Excalibur
gesunken. Sie ließ Mark in ihre nächtlichen Gedanken und ihre Träume ein, aber sie verbannte ihn aus ihrem anstrengenden Alltag, denn stets raubte ihr die Erinnerung an ihn ein wenig von ihrer Kraft und machte sie empfindlich und verletzlich. Niemals würde sie aufhören, ihn zu lieben und um ihn zu trauern, aber das Leben mußte Vorrang haben.
    Die Julisonne war angenehm warm, die Stadt in ihrer Geschäftigkeit anregend. Samantha ging den Weg zwischen Praxis und Mission immer gern. Dennoch merkte sie, wie die ruhige Heiterkeit, die sie wie immer von ihrem Besuch in der Mission mitgenommen hatte, sich wie unter einer dunklen Wolke zu trüben begann. Sie hatte in letzter Zeit schon {282} des öfteren eine wachsende innere Unruhe an sich wahrgenommen, die sie ein wenig erschreckte.
    Während sie mit Jenny an der Hand am neuen Crocker Woolworth Gebäude vorüberging, dachte sie über diese merkwürdige Unruhe nach und überlegte, was für eine Ursache sie haben könnte.
    War es vielleicht Sehnsucht nach einem Mann? Sie glaubte es nicht. Die Tage der leidenschaftlichen Liebe waren für sie vorbei;

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