Sturmjahre
Perlmuttknöpfen. Das schöne junge Gesicht, das unter der Kapuze hervorkam, war von Schmerz und Erschöpfung gezeichnet. Vorzeitige Falten, dunkle Ringe unter den blauen Augen und eine unnatürliche Blässe zeugten davon, wie schlecht es dieser jungen Frau ging.
»Dr. Hargrave, ich habe ein sehr intimes Problem. Ich war damit bereits bei mehreren Ärzten, aber keiner konnte mir helfen. Mein Mädchen hat mir schließlich von Ihnen erzählt. Sie war begeistert von Ihnen, Dr. Hargrave, und lobte Sie so sehr, daß ich mich nun entschlossen habe …«
Samantha, die sah, daß die junge Frau unter starker seelischer Belastung stand, sagte behutsam: »Wenn Sie mir gestatten, Sie zu untersuchen, kann ich Ihnen sehr schnell sagen, ob ich Ihnen helfen kann.«
»Ja – natürlich.«
Im St. Brigid’s hatte Samantha viele Frauen mit diesem Problem erlebt. Bis zu dem Tag, an dem Landon Fremont gekommen war und die sogenannte Sims-Methode eingeführt hatte, waren diese unglücklichen Geschöpfe dazu verurteilt gewesen, bis an ihr Lebensende Höllenqualen zu leiden. Ihre Beschwerden wurden durch eine sogenannte Vesikovaginalfistel verursacht, einen winzigen Durchgang von der Blase zur Vagina. Es war eines der schlimmsten Übel, das eine Frau befallen konnte. Diese Fisteln führten zu einer äußerst schmerzhaften und unheilbaren Entzündung; häufig ausgelöst durch eine schwierige Geburt. Frauen, die mit diesem Leiden geschlagen waren, wagten sich nicht mehr aus dem Haus. Das Schreckliche für diese Frauen aber war, daß sie wußten, daß sie dazu verurteilt waren, bis an ihr Lebensende zu leiden und wie eine Aussätzige behandelt zu werden. Viele dieser Frauen machten schließlich aus Verzweiflung ihrem Leben mit eigener Hand ein Ende.
Als Samantha sah, wie weit die Erosion bei dieser jungen blühenden Frau fortgeschritten war, hätte sie am liebsten geweint. Wieder im Salon, stellte sie ihre Fragen.
»Wann ist das passiert?«
»Weihnachten vor einem Jahr, als meine Tochter zur Welt kam. Es war eine Zangengeburt. Dabei ist es passiert.«
Samantha nickte, ohne den Zorn zu zeigen, der momentan in ihr aufflammte. So viele männliche Geburtshelfer griffen jetzt zur Zange, um die Geburt zu beschleunigen; zu ungeduldig, um zu warten und der Natur ihren Lauf zu lassen. Diese Frau war nicht das einzige Opfer solchen unnötigen Eingreifens.
»Wie alt sind Sie?«
{285} »Vierundzwanzig.«
»Haben Sie noch andere Kinder?«
Sie begann zu weinen. »Merry war mein erstes Kind. Und sie wird mein letztes sein.«
»Sie sagen, daß Sie schon bei anderen Ärzten waren?«
»Ja, aber sie sagten, in meinem Fall gäbe es keine Hilfe.« Sie beugte sich vor. »Dr. Hargrave«, sagte sie mit eindringlichem Flehen, »Sie können sich nicht vorstellen, was für ein grauenvolles Leben ich führe. Es ist ein Alptraum. Ich sitze den ganzen Tag in meinem Zimmer. Ich kann nicht ausgehen, ich wage mich nicht einmal in die anderen Zimmer unseres Hauses. Mein Mann ist in ein anderes Schlafzimmer umgezogen. Wir haben keine Beziehungen mehr. Elsie ist die einzige, die mir Gesellschaft leistet. Meine Freundinnen lasse ich nicht mehr herein, denn ich weiß, wie abstoßend meine Gesellschaft ist. Ich muß mehrmals am Tag die Röcke wechseln. Ich kann Bäder nehmen soviel ich will, der Geruch geht nicht weg. Und das brennt! Ich schlafe keine Nacht mehr. Es macht mich wahnsinnig. Wenn das so weiter geht, bringe ich mich um!«
Samantha drückte ihr die Hand. »Das werden Sie nicht tun«, sagte sie fest. »Ich glaube, ich kann Ihnen helfen. Es geht allerdings nur mit einer Operation.«
»Mit einer Operation?« Die junge Frau runzelte die Stirn. »Ich würde lieber nicht in ein Krankenhaus gehen, Doktor Hargrave, aber wenn es die einzige Möglichkeit ist …«
»Ich mache die Operation hier in meiner Praxis.«
Samantha beschrieb ihr kurz das Verfahren. Sie hatte es bei Landon Fremont gelernt, der bei Dr. Sims, seinem Erfinder, in die Schule gegangen war. Da jedoch die Operation so neu und revolutionär war und Sims bei der konservativen Ärzteschaft unbeliebt war, fanden seine Methoden nur sehr langsam Verbreitung. Das war der Grund, weshalb die anderen Ärzte, die diese Frau konsultiert hatte, gar nicht auf den Gedanken gekommen waren, diesen Eingriff zu versuchen. Entweder hatten sie überhaupt nicht von ihm gewußt, oder aber sie hatten keine entsprechende Ausbildung.
»Ich kann allerdings den Erfolg nicht garantieren. Die Erosion ist weit
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