Sturmjahre
von Herzen, und mein Leben ist schön und befriedigend. Aber manchmal, wenn ich hier sitze und zusehe, wie über der Bucht der Nebel aufsteigt, frage ich mich …«
Die Schatten wurden länger. Samantha warf einen Blick auf die Standuhr.
Hilary bemerkte es. »Ich halte Sie auf, Dr. Hargrave.«
»Nein, ich denke nur an meine Tochter. Die Frau, bei der ich sie gelassen habe, konnte mir nur eine Stunde versprechen, und Jenny ist es nicht gewöhnt, allein zu sein. Ich wünschte, ich könnte länger bleiben, wirklich. Es tut mir sehr leid, daß ich schon aufbrechen muß, Mrs. Gant.«
»Dann werden wir uns in Zukunft eben öfter sehen«, erwiderte Hilary lächelnd. »Und von jetzt an schicke ich alle meine Bekannten zu Ihnen. Ich habe eine Freundin, die entsetzlich leidet, weil sie sich absolut nicht von einem Mann untersuchen lassen will. Ich glaube, bei Ihnen würde sie sich gut aufgehoben fühlen, Dr. Hargrave.«
Samantha stand auf.
»Hätten Sie Lust am Sonntag zum Abendessen zu uns zu kommen?« fragte Hilary ein wenig nervös. »Ich habe meinem Mann von Ihnen erzählt, und er würde Sie sehr gern kennenlernen.«
»Ich komme mit Vergnügen.«
So begann es. Schon am folgenden Tag konnten die staunenden Bewohner der Kearny Street beobachten, wie ein prachtvoller Vierspänner vor Samanthas Praxis hielt, dem eine geheimnisvoll verschleierte Dame im weinroten Samtkostüm entstieg.
Dahlia Mason war achtundzwanzig Jahre alt und nach sieben Jahren Ehe immer noch kinderlos. Alle Ärzte, die sie konsultiert hatte, hatten sie nach eingehender Befragung für unfruchtbar erklärt. Die Folge war, daß {292} ihr Mann sich von ihr zurückgezogen hatte und sie selbst unter starker seelischer Spannung litt. Ärztinnen traute sie nicht, hatte Angst vor Kurpfuscherei, aber Hilarys schnelle Heilung hatte sie so beeindruckt, daß sie ihr Mißtrauen und ihre Ängste überwunden und den Weg zu Samantha gewagt hatte.
Das erste, was Samantha erfuhr, war, daß keiner der Ärzte, bei denen sie gewesen war, sie am Körper untersucht hatte. Und als zweites, daß Dahlia Mason vom eigentlichen Vorgang der Empfängnis keine Ahnung hatte. Bei der Untersuchung stellte sie fest, daß Dahlia einen Knick in der Gebärmutter hatte, was die anderen Ärzte ohne eine Untersuchung natürlich nicht hatten feststellen können. Samantha fertigte eine einfache Zeichnung an und erklärte Dahlia Mason anhand des Bildes, warum durch die unnormale Schräglage der Gebärmutter die Empfängnis verhindert wurde. Der Rat, den sie ihr gab, war einfach und leicht zu befolgen.
»Bleiben Sie nach dem Beischlaf mindestens eine halbe Stunde lang auf dem Rücken liegen und machen Sie keine Spülung, wie das sonst Ihre Gewohnheit ist. Ich kann nicht garantieren, daß Sie schwanger werden, denn Ihre Unfruchtbarkeit kann auch andere Gründe haben, die mir verborgen geblieben sind. Aber wenn das tatsächlich das einzige Problem sein sollte, gibt es keinen Grund, weshalb Sie kinderlos bleiben sollten.«
Dahlia Mason war skeptisch, als sie ging. Dr. Hargrave hatte ihr weder Tabletten noch bittere Arznei verschrieben, und sie konnte sich nicht vorstellen, daß ein so ernstes Problem mit einem so einfachen Rat aus der Welt geschafft werden könne. Doch sie tat, was Samantha ihr empfohlen hatte, und es dauerte nicht lange, da merkte sie, daß sie schwanger war.
Die Gesellschaftsspalten sämtlicher Lokalzeitungen berichteten die sensationelle Neuigkeit, und wieder einmal war der Name Samantha Hargrave in aller Munde.
Aber es war nicht das bescheidene kleine Wunder, das sie an Dahlia Mason gewirkt hatte, so daß Samantha beinahe über Nacht zur Ärztin der reichen Frauen von San Francisco geworden war, es war ihre Freundschaft mit Hilary Gant, die sich nach jener ersten kurzen Teestunde rasch entwickelte. Häufiger Gast in der Villa auf Nob Hill, stand Samantha bald mit vielen Angehörigen des einheimischen Geldadels auf vertrautem Fuß.
In ihrem Bemühen, es einer gesellschaftlichen Schicht gleichzutun, von der sie nichts wußten, stellten diese Leute, denen es an alter Kultur und Tradition fehlte, ihren Reichtum auf prahlerisch grelle Weise zur Schau.
{293} Darius Gant, Hilarys Mann, war einer ihrer typischen Vertreter: ein großgewachsener, wuchtiger Mann, ungeschliffen, aber gutmütig, der sein Vermögen am Spieltisch und mit kühnen Spekulationen verdient hatte. Hilarys Vater, ein sogenannter Neunundvierziger, der auf der
S. S.
California
herübergekommen war und
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