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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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starke Schmerzen, daß ihr alles andere gleichgültig war. Die Wehen kamen im Abstand von zwei Minuten, und bei jeder schrie sie laut auf.
    Samantha tastete nach dem Köpfchen des Kindes. Es befand sich noch in der Cervix, die auf zehn Zentimeter erweitert war. Nachdem die Schwester ihr durch die Wagentür das Stethoskop gereicht hatte, versuchte sie, den Herzschlag des Ungeborenen zu finden. Draußen bemühten sich Schwester Hampton und ein Polizist, Neugierige fernzuhalten. Samantha lauschte. Nur hundert Schläge in der Minute.
    Das Kind war gefährdet.
    Hastig schlug sie das Bündel mit den Instrumenten auseinander, das die Schwester ihr gebracht hatte.
    {326} »Okay«, sagte sie, »ich mache jetzt die Fruchtblase auf. Sie werden nichts spüren. Wenn Sie nur eine Minute lang stillhalten könnten …«
    Im Licht der Laterne zwischen den Beinen der Frau führte Samantha Zange und Schere ein, durchschnitt die Haut der Fruchtblase und sah sich das herauslaufende Fruchtwasser an. Ihre schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt. Das normalerweise klare Fruchtwasser hatte eine grünlich braune Färbung. Das hieß, daß es Fäkalstoffe des Kindes enthielt, ein Zeichen dafür, daß für das Kind ernste Lebensgefahr bestand.
    Wieder hörte Samantha die Herztöne ab. Die Frequenz war auf neunzig gefallen. Jetzt mußte sie rasch entscheiden: Sollte sie die Frau in den Operationssaal bringen lassen und einen Kaiserschnitt machen, oder sollte sie versuchen, sie hier zu entbinden?
    Nein, sagte sich Samantha, die Zeit reicht nicht, um sie erst in den Operationssaal bringen zu lassen.
    Unter ihren Instrumenten war eine Geburtszange; bei einer normalen Geburt fand sie ihren Einsatz verwerflich, aber in einem
     Notfall konnte die Zange Leben retten.
    Der Kopf war jetzt weit unten im Geburtskanal, aber es ging nicht mehr vorwärts. Die Mutter schrie bei jeder Wehe.
    Ohne zu wissen, ob die Frau sie überhaupt hörte, sagte Samantha: »Ich hole jetzt Ihr Kind. Wenn Sie spüren, daß ich ziehe, dann pressen Sie so fest, wie Sie nur können.«
    »Lassen Sie mich doch«, jammerte die Frau. »O Gott, machen Sie, daß die Schmerzen aufhören. Geben Sie mir was, damit es aufhört.«
    »Das kann ich nicht. Ich brauche Ihre Hilfe. Sie müssen mitarbeiten, so gut Sie können.«
    Während Samantha die Zange in den Kanal hineinschob, schloß sie die Augen und ertastete mit den Fingern der anderen Hand Kopf und Gesicht des Kindes. Die Zange mußte so angesetzt werden, daß sie den weichen Schädel nicht verletzte: am Kiefer, unmittelbar vor den Ohren. Als sie richtig saß, sagte Samantha: »So, jetzt holen wir es. Arbeiten Sie mit! Pressen Sie!«
    Samantha zog, ließ locker, zog wieder, so gut wie möglich im Einklang mit dem natürlichen Geburtsvorgang. Als der Kopf zur Hälfte frei war, zog sie die Zange weg und umschloß den kleinen Schädel behutsam mit ihren Händen.
    »O Gott, o Gott!« wimmerte die Frau. »Aufhören!«
    »Pressen Sie noch einmal ganz fest. Gleich ist es vorbei. Pressen Sie!«
    Samantha drehte vorsichtig den Kopf und zog behutsam die Schulter heraus. Dies war der heikelste Teil. Um einem Dammriß vorzubeugen, {327} drückte Samantha ihre Fingerspitzen fest an das Perineum, hob das Kind an und zog sachte die andere Schulter heraus. Dann kam der kleine Körper ihr von selbst entgegen.
    Normalerweise hätte sie die Nabelschnur jetzt nicht durchschnitten. Sie hätte das Kind der Mutter auf den Bauch gelegt und beide zusammen ins Krankenhaus tragen lassen, um dort unter reinlicheren Bedingungen die Placenta zu entfernen. Aber dazu war keine Zeit.
    Das Kind atmete nicht.
    Samantha hielt es bei den Füßen und schlug ihm auf die Sohlen. Keine Reaktion. Dann schlug sie einmal auf den kleinen Po.
    Mit einer Gummispritze sog sie eilig den Schleim heraus, der Mund und Nase verstopfte. Der kleine Körper war kalt und weiß. Aber das Herz schlug immer noch schwach.
    Die Mutter hatte das Bewußtsein verloren. Sie sah nicht, wie Samantha ihren Mund auf den des Kindes legte und Luft in die kleine Lunge blies. Samanthas Gesicht war weiß, während sie verzweifelt versuchte, dem sterbenden Kind Leben einzuhauchen.
    Bleib am Leben, flehte sie stumm. Bitte, lebe!
    Sie blies, sah, wie der kleine Brustkorb sich hob und senkte, blies wieder. Dann hielt sie inne, wartete darauf, daß das Kind von selbst weiteratmen würde.
    Aber ihre Bemühungen hatten nichts geholfen. Der kleine Körper erkaltete immer mehr, und schließlich hörte auch der

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