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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Geschirr in Stapeln herumstand, verkrustete Töpfe, in denen Essensreste verfaulten, Becher mit sauer gewordener Milch neben angeschlagenen Tellern, auf denen verschimmelte Brotkanten lagen.
    »Du kannst gleich hier anfangen«, sagte der alte Hawksbill, und Samantha fiel auf, daß er anders sprach als die Leute aus dem Viertel; als käme er aus einer anderen Gegend oder einem fremden Land. »Ich habe keine Zeit, mich mit diesem Kram hier abzugeben, aber ich habe keinen einzigen sauberen Löffel mehr im Schrank, und von meiner eigenen Kocherei habe ich mittlerweile mehr als genug.«
    Die kleinen grünen Augen lagen blitzend unter buschigen weißen Brauen. Das weiße Haar stand dem Alten wild und zerzaust um den Kopf, Kinn und Wangen waren von weißen Bartstoppeln bedeckt. Er trug einen zerknitterten Rock, sein Halstuch saß schief, das weiße Hemd hatte einen grauen Schimmer und war voller Flecken. Im Grund war er einfach ein ungepflegter alter Mann, aber auf Samantha wirkte er wie der Unhold, vor dem Freddy sie so eindringlich gewarnt hatte.
    Am liebsten hätte sie auf der Stelle kehrt gemacht und wäre davongelaufen, aber das konnte sie nicht. Es war der Wunsch ihres Vaters, daß sie diesem schrecklichen alten Mann das Haus führte, und wenn sie die Gründe für diesen Wunsch auch nicht verstehen konnte, ihrem Vater zuliebe würde sie bleiben.
    »Damit wirst du zweifellos den ganzen Tag zu tun haben«, fuhr Hawksbill fort. »Mittags bringst du mir einen Becher Milch und ein paar Scheiben Brot dazu und stellst mir die Sachen vor die Tür. Mein Zimmer ist am Ende des Flurs, gegenüber vom Wohnzimmer. Die Tür ist abgeschlossen. Stell’ das Essen einfach hin und geh’ dann wieder in die Küche. Laß dir ja nicht einfallen zu klopfen. Fürs Abendessen liegt da in der Speisekammer ein kaltes Huhn. Nimm dir einen Flügel und bring mir den Rest. Stell den Teller vor die Tür und geh’ nach Hause, wenn du gegessen hast. Wir sprechen uns morgen wieder. Wenn du Fragen hast, heb’ sie dir für morgen auf.«
    Einen Moment lang musterte Isaiah Hawksbill sie noch mit seinen, wie ihr schien, böse schillernden grünen Augen, dann wandte er sich ab und schlurfte hinaus.
    Die Aufgaben, die Samantha erwarteten, waren von wahrhaft herkulanischem Ausmaß, aber sie ließ sich davon nicht abschrecken, sondern {46} stürzte sich mit Feuereifer in die Arbeit. Sie war entschlossen, sich Hawksbills Lob zu verdienen, um es ihrem Vater zum Zeichen dafür, daß sie seiner Liebe würdig war, als Geschenk zu bringen. Unverdrossen säuberte sie Schränke und Borde, putzte Becken und Anrichte, fegte und schrubbte, warf die verrotteten Abfälle in die Mülltonne hinter dem Haus und wusch Berge von Geschirr. Zur Mittagszeit trug sie Hawksbills karges Mahl durch den langen dunklen Gang und stellte Becher und Teller vor der verschlossenen Tür nieder. Ehe sie zur Küche zurückging, lauschte sie einen Moment, hörte aber nichts als gedämpftes Scharren und Schlurfen. Als sie am Abend das kalte Huhn zu Hawksbills Zimmer trug, fand sie vor der Tür das geleerte Mittagsgeschirr. Durch die verschlossene Tür drang nicht ein einziger Laut.
    Das Haus war dunkel und verstaubt, die Möbel waren sämtlich mit Leintüchern zugedeckt. Eine Treppe führte in bedrohliche Schwärze hinauf. Als es draußen zu dunkeln begann, packte Samantha eine solche Furcht, daß sie nicht einmal mehr ihr Essen wollte. Sie warf den Hühnerflügel in den Mülleimer, schlug die Haustür hinter sich zu und rannte wie gejagt nach Hause.
    Am nächsten Morgen erwartete Hawksbill sie schon.
    »Mein Bett muß frisch bezogen werden. Zieh es ab, wasch die Leintücher und häng sie draußen auf. Frische Wäsche findest du irgendwo in einem Schrank, Mittag bringst du mir Milch und Brot wie gestern und zum Abendessen ein paar Wurstbrote. Aber streich die Wurst ja nicht zu dick. Stelle mir das Essen wieder wie gestern vor die Tür.«
    Er trat einen Schritt näher und packte sie beim Arm. »Merk dir eines, kleines Fräulein – das abgeschlossene Zimmer geht dich nichts an.« Er neigte sich so dicht zu ihr hinunter, daß sein Haar beinahe ihr Gesicht berührte. »Wenn ich dich auch nur ein einzigesmal dabei erwische, daß du an der Klinke herumfummelst, kannst du was erleben. Hast du mich verstanden?«
    Als das Ende der ersten Arbeitswoche herankam, war Samantha so müde, daß sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Die Arbeit, die es in Hawksbills finsterem Haus zu erledigen gab,

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