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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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und jeden Abend.« Er lachte trocken. »Bowkers besteht aus zweiundvierzigprozentigem Alkohol.«
    Luther war ein witziger und charmanter junger Mann, der Samantha und Louisa oft zum Lachen brachte. Jeden Mittwochmorgen sprach er in Dr. Masefields Praxis mit den Medikamenten vor, die am Abend zuvor bestellt worden waren, und immer hatte er Zeit, ein wenig mit Samantha zu schwatzen. Sonntags pflegte er erst sie und dann Louisa zu ihren gemeinsamen Streifzügen abzuholen. Es entging Samantha nicht, daß er und Louisa sich rettungslos ineinander verliebt hatten.
    »Er sagt, er wird mal seinen eigenen Drugstore aufmachen«, berichtete ihre Freundin bei einem Spaziergang am Washington Square. »Er hat nämlich in Deutschland Pharmazie studiert, weißt du. Er meint, es ist nur noch eine Sache der Zeit, bis Mr. DeWinter ihn zum Kompagnon macht.« »Louisa! Du kennst ihn gerade zwei Monate und bist schon wild entschlossen, ihn zu heiraten.«
    »Ich wußte schon in dem Moment, als du ihn mir vorgestellt hast, daß ich ihn heiraten werde. Er ist ein absoluter Traum!« Louisa raffte mit zierlicher Bewegung ihre Röcke, als sie vom Bürgersteig auf die Straße traten. »Als Frau muß man die Augen offenhalten, Samantha. Man ist nicht lange jung, und wenn man mal ein gewisses Alter überschritten hat, will einen kein Mann mehr haben. Es ist nie zu früh, nach einem zukünftigen Ehemann Ausschau zu halten.« Sie warf der Freundin einen Seitenblick zu. »Du hast wohl noch niemanden im Sinn?«
    Sie wehrte sich immer wieder hitzig gegen die Gedanken und Träume, die sich einschlichen, wenn sie bei Tag an seiner Seite arbeitete oder abends schlaflos in ihrem Bett lag. Welch eine Vorstellung, sich in einen Mann wie Joshua Masefield zu verlieben, der doppelt so alt war sie sie, verheiratet und absolut unzugänglich. Nach drei Monaten der Zusammenarbeit mit ihm wußte sie nicht mehr über ihn als am ersten Tag. Der Mann, der sich hinter der Fassade verbarg, war ihr immer noch völlig fremd.
    Er machte sie neugierig, er faszinierte sie, aber von Liebe konnte da doch wahrhaftig keine Rede sein. Schon gar nicht, da
     ja Estelle da war.
    {124} Nach jener ersten Nacht hatte sich Samantha in zunehmendem Maß um Estelle Masefield gekümmert. Sie stützte sie auf dem mühevollen Weg vom Bett zum Sessel, half ihr beim Ankleiden, las ihr vor oder berichtete, was sie auf ihren Ausflügen gesehen hatte. Obwohl die beiden jungen Frauen wenig gemeinsam hatten, bildete sich zwischen ihnen eine behutsame Freundschaft. Samantha begann sich auf die Nachmittage oder Abende in dem eleganten Zimmer zu freuen, wenn Estelle ihr mit ihrer weichen Stimme von den herrlichen Tagen in Philadelphia zu erzählen pflegte; und Estelle fühlte sich zu der stillen jungen Frau hingezogen, die ihr geduldig zuhörte und mit ihren Berichten ein wenig Leben in ihr zurückgezogenes Dasein brachte.
    Schon diese keimende Freundschaft hätte jeden Gedanken an eine nähere Beziehung zu Joshua Masefield verbieten müssen; aber sie war nicht das einzige. Hinzukam Joshuas Verhalten seiner Frau gegenüber. Samantha hatte ihn oft genug beobachtet, um zu wissen, daß er Estelle über alles liebte. Sie sah die Liebe in seinen Augen, wenn er Estelle ansah, und sie sah auch das Leiden, das sich nur zeigte, wenn Estelle es nicht sehen konnte.
    Wie also hätte sich Samantha unter diesen Umständen in den Mann verlieben können?

8
    Früh einfallende herbstliche Kälte kündigte einen strengen Winter an, und Samantha dachte mit Bedauern daran, daß sie in drei Monaten schon die Praxis verlassen würde. Obwohl jetzt nicht mehr so viel zu tun war wie im Sommer, blieb Samantha weiterhin die Versorgung gewisser Patienten – Frauen vor allem und Kinder – überlassen, und im Oktober begleitete sie Joshua Masefield auf den ersten Hausbesuch.
    Man hatte einen Straßenjungen in die Praxis geschickt, ihn zu holen. Joshua nahm sein Köfferchen und klopfte bei Samantha.
    »Es handelt sich um einen kranken Säugling. Die Nachbarn haben nach mir geschickt, nicht die Familie selbst. Ich erwarte Widerstand. Es wäre vielleicht eine Hilfe, wenn ich in Begleitung einer Frau komme.«
    Sie gingen durch Straßen, in die sich Samantha normalerweise nach Einbruch der Dunkelheit nicht hingewagt hätte, aber Joshua Masefield war ein bekannter Mann, der allgemeine Achtung genoß. Dieser Teil Manhattans, zwischen der Hester Street und dem Mulberry Bend wurde allgemein der Selbstmordbezirk genannt. Die Bürgersteige

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