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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Masefields Praxis kamen viele Prostituierte. Die Geschichte, die sie zu erzählen hatten, war fast immer die gleiche. Arglos und unwissend hatten sie den Lügen der Schiffahrtsgesellschaften geglaubt, daß man in Amerika kein Geld brauche und ohne Mühe ein Unterkommen fände, hatten ihre gesamten Ersparnisse für ein Billett hingelegt, nur um dann die bittere Wahrheit zu entdecken – daß die Straßen in Amerika {127} nicht mit Gold gepflastert waren. Am Hafen nahmen sich charmante, redegewandte junge Männer ihrer an, luden sie ein, versprachen ihnen Hilfe bei der Suche nach Arbeit und Unterkunft. Und wenn die Mädchen, kaum fähig, ein Wort Englisch zu verstehen, voller Dankbarkeit die Einladung annahmen, fanden sie sich in einem Bordell wieder. Voller Angst und völlig mittellos, wagte es kaum eine zu fliehen. Sie reihten sich widerstandslos in das Heer der Prostituierten von New York ein, und nach einer Weile erschienen sie zaghaft in Joshua Masefields Praxis und baten um ein Mittel zur Schwangerschaftsunterbrechung oder gegen Geschlechtskrankheit.
    Die Prostituierten waren nicht die einzigen, die sich Abhilfe gegen unerwünschte Schwangerschaft erhofften. Es kamen auch viele völlig überforderte Einwandererfrauen, die, Jahr um Jahr von Schwangerschaft geplagt, endlich Ruhe haben wollten und schüchtern um Rat zur Verhütung fragten.
    »Das Schlimme dabei ist, Miss Hargrave, daß ihre Ehemänner sie grün und blau schlagen würden, wenn sie es erführen. Unglücklicherweise gibt es nichts, was ich raten oder verschreiben kann. Verhüten kann nur der Mann.«
    Eines Morgens, als ein junges Ehepaar in der Praxis erschien, bat Joshua Samantha, ihn mit dem Paar allein zu lassen. Nachdem
     die beiden wieder gegangen waren, berichtete er kurz und sehr sachlich.
    »Der Geschlechtsakt ist für die junge Frau mit Schmerzen verbunden und wird darum nur selten vollzogen. Sie leidet an Vaginismus, einer Verkrampfung der Vaginamuskeln während des Geschlechtsverkehrs. Die beiden baten mich, zu ihnen ins Haus zu kommen und der jungen Frau Äther zu verabreichen, damit der Akt vollzogen werden kann. Sie wollen unbedingt Kinder haben. Natürlich konnte ich ihrer Bitte nicht stattgeben; ich habe der jungen Frau statt dessen ein Brompräparat zur inneren Entspannung verschrieben. In neunzig Prozent der Fälle ist Vaginismus seelischen Ursprungs.«
    »Seelisch?«
    »Ja, die junge Frau hat entweder schreckliche Angst vor dem Geschlechtsakt oder hegt eine starke Abneigung dagegen, darum verschließt sie sich. Es gibt kaum einen Fall, den man chirurgisch oder medikamentös behandeln kann.«
    Seltsam, dachte Samantha halb erstaunt, halb mit Unbehagen, hier stehe ich und spreche mit einem Mann, der mir praktisch fremd ist, über Dinge, die nicht einmal Mann und Frau in einer Ehe miteinander besprechen. Wie ist das überhaupt, wenn man mit einem Mann schläft?
    {128} Jeden Tag kamen auch Frauen, die um Rat und Hilfe baten, um endlich schwanger zu werden. Mrs. Malloy, eine Frau Ende dreißig, die nie Kinder gehabt und alle Hoffnung längst aufgegeben hatte, kam eines Nachmittags und zeigte Joshua Masefield stolz ihren dicken Bauch. Während sich Samantha diskret im Hintergrund hielt, stellte er seine Fragen.
    Strahlend beantwortete Mrs. Malloy alle seine Fragen. Als er vorschlug, sie solle sich von einem der Fachärzte im Woman’s Hospital noch einmal untersuchen lassen, lehnte sie lächelnd ab. »Das ist nicht nötig, Doktor. Ich wollte nur die Bestätigung meiner Vermutung. Ich habe meinen Mann nie so glücklich erlebt. Er hat schon Farbe gekauft, um das Kinderzimmer zu streichen.«
    Joshua bat Samantha, der Frau ein Glas Brandy einzugießen, und erklärte ihr dann so behutsam wie möglich, daß die Schwellung ihres Leibes nicht auf eine Schwangerschaft, sondern auf einen Tumor zurückzuführen sei. Samantha konnte gerade noch mit einem geistesgegenwärtigen Sprung dem Glas ausweichen, das durch die Luft flog, und mußte später den Brandy von der Wand waschen. Sie und Joshua brauchten eine halbe Stunde, um die Frau zu beruhigen, und zum Schluß begleitete Samantha sie nach Hause.
    Am Nachmittag, als sie zusammen Kaffee tranken, was sie sehr selten taten, sagte Joshua: »Wenn Mrs. Malloy ein bißchen mehr Ahnung gehabt hätte, hätte sie gewußt, daß eine Schwangerschaft nicht schon nach einem Monat sichtbar wird. Aber die meisten Frauen wissen praktisch nichts über ihren eigenen Körper und seine Funktionen. Sie werden

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