Sturmjahre
von bestem Renommee.
»Aber die Zeit reicht doch gar nicht mehr, um ein Kleid anfertigen zu lassen«, wandte Samantha ein.
Estelle, einen Berg Satinkissen im Rücken, sagte unbekümmert: »Mrs. Simmons ist Eilaufträge gewöhnt. Besonders um diese Jahreszeit. Sie kann wahre Wunder vollbringen. Und wenn Sie ihr sagen, daß das Kleid für den Ball bei den Astors sein soll, wird sie ihre Mädchen Tag und Nacht arbeiten lassen.« Wehmütig fügte Estelle hinzu: »Ach, könnte ich doch selbst hingehen, aber ich bin froh, daß Sie an meiner Stelle gehen können, Samantha. Wirklich. Es wäre schlimm gewesen für Joshua, wenn es nicht geklappt hätte. Die Krebsstation liegt ihm so am Herzen …«
Samantha wählte anthrazitgrauen Taft und schwarzen Samt als Besatz für ihr Ballkleid. Spitzen und Schleifen lehnte sie als zu teuer ab. Mrs. Simmons, die so beeindruckt und beflissen war, wie Estelle vorausgesagt hatte, versprach, das Kleid genau nach Samanthas Angaben zu machen, streng und zurückhaltend.
Als es fünf Tage vor Weihnachten gebracht wurde, reagierte Joshua wie von der Tarantel gestochen. Im Beisein des verschüchterten Botenjungen schleuderte er das Kleid wieder in die Schachtel und rief: »Was, zum Teufel, haben Sie sich dabei gedacht, Miss Hargrave? Wenn Sie keinen Geschmack haben, hätten Sie sich von Mrs. Simmons beraten lassen sollen!«
»Was ist denn an dem Kleid nicht in Ordnung? Ich dachte –«
»Was daran nicht in Ordnung ist? Es ist abscheulich. Glaubten Sie allen Ernstes, ich würde es zulassen, daß Sie in diesem Ding vor aller Öffentlichkeit als meine Frau auftreten?«
{156} Samantha warf einen erschrockenen Blick auf den Botenjungen. »Wirklich, Dr. Masefield«, begann sie hastig, »ich wollte nur –«
Er drehte ihr einfach den Rücken, packte Karton und Verpackung und drückte beides dem Jungen in die Arme. »Bring das zurück. Wir nehmen es nicht.«
Verdattert nahm der Junge die Sachen.
»Dr. Masefield, das ist wirklich nicht nötig. Ich kann ein paar Änderungen machen, wenn Sie wollen. Mrs. Wiggen kann mir helfen.«
Er fuhr herum. Seine Lippen hatten eine seltsame Färbung angenommen, und seine Pupillen waren klein wie Stecknadelköpfe. »Diese Scheußlichkeit kann man höchstens ins Feuer werfen, Miss Hargrave.«
Sie wich einen Schritt zurück. Der Botenjunge trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Joshua starrte Samantha noch einen Moment zornig an, dann wedelte er mit dem Arm.
»Geh schon. Sag Mrs. Simmons, sie soll mir die Rechnung schicken.«
Der Junge flitzte hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
»Jetzt müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen«, sagte Joshua.
»Wenn Sie mir vorher gesagt hätten, was Sie sich vorstellen«, sagte Samantha eisig, »anstatt alles mir zu überlassen –«
»Verdammt nochmal, Miss Hargrave, ich glaubte, Sie wären fähig, ein simples Abendkleid zu bestellen.«
»Was war denn nicht in Ordnung daran?«
»Es war scheußlich! Meine Frau zeigt sich nicht in einem Putzlappen vor der Öffentlichkeit.«
»Es war kein Putzlappen, und ich bin nicht Ihre Frau. Ich wollte lediglich –«
»Ich bin froh und dankbar, daß Sie nicht meine Frau sind.«
»Sie tun so, als hätte ich Sie absichtlich verärgern wollen, Dr. Masefield. Als ich das Kleid bestellte, habe ich in der Tat an Sie gedacht. Ich wollte Ihnen Geld sparen.«
Er sah sie verblüfft an. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
»Doch, es ist mein Ernst.«
»Ja, glauben Sie denn, ich sei arm, Miss Hargrave?«
»Ich wurde dazu erzogen, anderer Leute –«
»Es ist mir absolut gleichgültig, wie Sie erzogen wurden, Miss Hargrave.«
Joshua starrte sie noch einen Moment lang mit zornblitzenden Augen an, dann machte er kehrt und ging aus dem Zimmer. Samantha stand wie gelähmt. Gewaltsam kämpfte sie die Tränen nieder. Von draußen hörte {157} sie das Klappen der Haustür und sah einen Augenblick später Joshua in Mantel und Schal die Straße entlang eilen.
Die Szene wurde mit keinem Wort wieder erwähnt, und auch von dem Ball wurde nicht mehr gesprochen. Er kam an jenem Abend spät nach Hause, nahm sein Essen allein in seinem Arbeitszimmer ein und zog sich zeitig in sein Schlafzimmer zurück.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück rief Samantha den ersten Patienten ins Sprechzimmer und assistierte Joshua in eisigem Schweigen.
Am 24. wurde Joshua zu einer Entbindung gerufen und kam erst am frühen Abend zurück. Samantha saß in ihrem Zimmer und schrieb
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