Sturmjahre
wohl die unterschwelligen Strömungen zwischen den beiden. Früher am Abend hatte er sich gefragt, ob Joshua sich in diese schöne Frau verliebt hatte; jetzt hatte er den Eindruck, daß sie mindestens genauso unter seinem Bann stand wie er unter ihrem. Eine merkwürdige Beziehung.
»Ihre Begleiterin erzählte mir vorhin, daß sie Medizin studiert. Ich war sehr verblüfft!«
Samantha schien sich plötzlich wieder zu fangen. Mit lebhafter Bewegung wandte sie sich an Mark und sagte: »Ja, so hat man am College auch reagiert. Man hätte eine wesentlich ältere und gesetztere Frau erwartet. Und dann wollten sie mich vom Sektionsseminar ausschließen.«
Mark bemühte sich, Joshuas finsteren Blick zu ignorieren. »Sie dürfen nicht teilnehmen?«
»Doch, doch, jetzt schon, aber es war ein harter Kampf.« Sie berichtete von den Vorgängen, hatte allerdings Mühe, unter Joshuas brennendem Blick nicht den Faden zu verlieren. »Seitdem hat man uns in Fünfergruppen aufgeteilt, und wir arbeiten abends ganz selbständig. Leider setzen sich die anderen aus meiner Gruppe abends oft lieber in eine Gastwirtschaft. Dann bin ich ganz allein, und das ist mir gar nicht geheuer. Es heißt nämlich, daß es am College nachts spukt.«
Mark hörte ihrer hastig sprudelnden Rede nur mit halbem Ohr zu. Die Veränderung war bemerkenswert. Allein die Anwesenheit Joshuas schien sie nervös zu machen. Welcher Art war die Macht, die er über sie ausübte?
»Es spukt?« sagte er, ihre letzten Worte aufnehmend.
»Ja. An der Stelle, wo heute das College steht, soll vor vielen Jahren ein indianisches Liebespaar umgekommen sein. Das Mächen wurde von dem Indianer, dem es eigentlich versprochen war, getötet, und der junge Mann, mit dem sie durchgebrannt war, wurde von seinem Stamm verstoßen. Aus Schmerz legte er sich neben seiner toten Geliebten nieder und starb nach vielen Tagen ebenfalls. Es heißt, daß die Geister der beiden jede Nacht durch das College irren und einander rufen. Aber sie können nicht zusammenkommen, weil sie verflucht sind.«
Als Samantha schwieg, schien die Musik der Kapelle plötzlich überlaut zu klingen. Mark blickte nachdenklich zu Boden. Joshua sagte: »Die Liebe scheint nichts als Schmerz und Leid zu bringen.«
»Sie kann auch glücklich machen«, entgegnete Samantha leise, »wenn man es nur zuläßt.«
Mit einem Schlag war Mark alles klar. »Ach!« sagte er etwas zu laut und {166} richtete sich auf. »Das ist der alte Doktor Barnes mit seiner Frau. Ich habe ihn seit dem Studium nicht mehr gesehen.« Er stand auf und bot Joshua die Hand. »Seien Sie mir nicht böse, daß ich mich so formlos davonmache, aber ich würde Barnes gern begrüßen. Sie wissen, wo ich zu erreichen bin, Josh. Am St. Luke’s. Bleiben wir in Verbindung, ja?« Die beiden Männer geben sich die Hand, dann wandte sich Mark Samantha zu. »Es war mir ein Vergnügen, Miss Namenlos. Ich hoffe, wir sehen uns einmal wieder.«
Schon zum Gehen gewandt, blieb er stehen und sagte: »Ihre kleine Maskerade ist durchaus überzeugend, Josh, aber man könnte es sonderbar finden, daß Sie kein einziges Mal mit Ihrer Frau getanzt haben. Guten Abend.«
Schweigend blickten sie ihm nach, bis er in der Menge verschwand. Samantha bewegte nervös ihren Fächer hin und her und erschrak beinahe, als Joshua unvermittelt sagte: »Möchten Sie tanzen?«
Sie hätte gern abgelehnt; Mark hatte Joshua zu dieser Aufforderung genötigt. Statt dessen antwortete sie: »Ja, gern.«
Auf dem Weg zur Tanzfläche fiel ihr wieder sein Hinken auf. »Haben Sie sich verletzt, Dr. Masefield?«
»Nein, nein, es ist nichts.«
Beim Tanzen hielt er sie sehr weit von sich ab, und seine Bewegungen waren so mechanisch, als entledige er sich einer lästigen Pflicht. Nicht ein einziges Mal sah er Samantha an, sondern hielt den Blick über ihre Schulter hinweg starr geradeaus gerichtet.
Joshuas Gesicht hatte eine beängstigend fahle Färbung. Auf seiner Stirn glänzten winzige Schweißperlen.
»Dr. Rawlins ist ein sympathischer Mann«, sagte Samantha, um ein Gespräch in Gang zu bringen.
Endlich sah Joshua sie an. »Werden Sie ihn wiedersehen? Er wäre der ideale Mann für Sie. Er hat einen tadellosen Ruf, ein gutes Einkommen und eine große Praxis. Er hat keine Laster, sieht nicht übel aus und ist offensichtlich hingerissen von Ihnen.«
Samantha runzelte die Stirn. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ich kenne Mark seit langem und ich habe nie beobachtet, daß er eine Frau so angesehen
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