Sturmjahre
geschlagen worden. Hannah konnte das Entsetzen auf ihrem Gesicht nicht aushalten. Sie stand auf, ging zum Herd und rührte in einem der Töpfe herum.
»Du fragst dich sicher«, sagte sie mit tonloser Stimme, »warum ich das getan habe. Wieso ich mit einem anderen Mann, und noch dazu mit einem läppischen Kerl wie Oliver, was anfange, wo ich fünf Monate im Jahr einen Mann wie Sean Mallone in meinem Bett habe.«
Samantha sagte nichts.
»Du kannst das vielleicht heute nicht verstehen, Herzchen«, fuhr Hannah fort. »Du bist zwanzig und gertenschlank, hast eine Haut wie Milch und Honig und bist so frisch wie der junge Morgen. Ich war auch mal so.« Hannah ging in der Küche umher und berührte die einzelnen Gegenstände, als könne sie bei ihnen Halt finden. »Aber wenn ich in den letzten Jahren in den Spiegel geschaut habe, dann hab’ ich jeden Tag eine neue Falte entdeckt. Ich hab’ gesehen, daß ich breiter wurde, füllig, und daß ich immer mehr graue Haare bekam. Oft, wenn ich nachts in meinem Bett lag, hab’ ich mir überlegt, daß Sean mich vielleicht nur noch aus Gewohnheit und Bequemlichkeit mag. Und ich hab’ natürlich gemerkt, daß mir die Männer nicht mehr nachgeschaut haben, wie früher.«
Sie drehte sich um und sah Samantha an. »Ich stellte mir vor, wie es weitergehen würde, wenn ich immer dicker und grauhaariger werden würde. Ich stellte mir vor, daß Sean eines Morgens beim Aufwachen mich anschauen und mich endlich so sehen würde, wie ich wirklich war. {184} Es wäre alles nicht so schlimm, Samantha«, sagte sie mit gepreßter Stimme, »wenn wir Kinder hätten. Wenn man Kinder hat, macht es nichts, daß man alt und dick wird. Man hat etwas, worauf man stolz sein kann. Eine Art Beweis dafür, daß man einmal eine begehrenswerte und nützliche Frau war. Aber ich, was hab’ ich denn schon? Ich kann dir sagen, Samantha, ich hab’ plötzlich eine Heidenangst gekriegt.«
Sie kehrte an ihren Platz am Tisch zurück und goß Whiskey in ihre Teetasse. »Ich war nicht in Oliver verliebt, ich fand ihn nicht mal anziehend. Aber er gab mir das Gefühl, wieder jung zu sein, wie er mit mir flirtete und mich
Miss
Mallone nannte, und wenn er mich anfaßte, war’s, als wär’ ich wieder zwanzig. Mit Sean hab’ ich mich seit Jahren nicht mehr so gefühlt, so kribbelig und lebendig, weißt du. Aber nach zwei Wochen war’s vorbei, und ich war nichts weiter als eine alte Frau, die sich mit einem jüngeren Mann lächerlich machte. Also hab’ ich Schluß gemacht.«
Samantha neigte sich über den Tisch und nahm Hannahs Hand.
»Du weißt doch, was man in so einem Fall tun muß, Samantha. Du hast das alles gelernt. Du mußt mir helfen. Vielleicht gibt’s irgendein Mittel, das ich einnehmen kann –«
»Hannah«, flüsterte Samantha. »Willst du das wirklich?«
»Nein. Ich will es nicht, aber ich muß es tun. Ich muß!« Endlich begann sie zu weinen. »Gott weiß, wie sehnlich ich mir immer ein Kind gewünscht habe. Was habe ich gebetet. Die Knie haben mir geblutet vom langen Knien. Und jetzt …« Hannah senkte den Blick auf ihren Bauch. »Ach, wenn ich mir vorstelle, daß da drinnen endlich so ein kleines Geschöpfchen ist und nur darauf wartet, fröhlich in die Welt zu kommen –«
Sie brach schluchzend ab. »Ich liebe dieses Kind, Samantha. Aber Sean liebe ich mehr. Und darum kann ich es nicht bekommen.«
»Aber du brauchst doch gar nicht zu wählen. Du kannst beides haben. Sag Sean, der Mann hätte dich gezwungen, er hätte dich bedroht. Sean ist ein verständnisvoller und einfühlsamer Mensch. Er wird das Kind gewiß behalten und wie sein eigenes großziehen –«
»Das ist ja gar nicht das Problem, Samantha. Es geht mir nicht um mich oder meinen guten Ruf. Es geht mir um Sean. Ach, Kind, verstehst du denn nicht? Die ganzen Jahre haben wir geglaubt,
ich
wäre schuld an unserer Kinderlosigkeit. Aber dies hier bedeutet doch, daß Sean nicht fähig ist, ein Kind zu zeugen, und wenn er das erfahren müßte, würde er sich wie ein elender Versager fühlen. Das kann ich ihm nicht antun. Du mußt mir helfen, Sean seine Selbstachtung zu bewahren, Samantha.«
Samantha wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. »Hast du es Oliver gesagt?« fragte sie.
{185} »Nein.«
»Er hat ein Recht, es zu wissen.«
»Er hat keinerlei Rechte. Was er wollte, hat er oben im Schlafzimmer gekriegt. Wir sind quitt, ich schulde ihm nichts.« Hannah beugte sich mit flehender Miene über den Tisch. »Es braucht ja
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