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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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noch immer Wesen als Unterschlupf dienen, die sich hier verkrochen hatten. Erst vor den Menschen, dann vor den Dschinnen.
    Die Krieger, die einst hier gekämpft hatten, hatten in Zelten diesseits des Walls gehaust. Wenn man in dem felsigen, sandverwehten Boden grub, konnte man noch immer auf alte Waffen stoßen, manchmal auf Knochen.
    Er hatte nicht vorgehabt, hier zu rasten. Aber dann sah er den Wehrgang der Bastion unter sich, das Auf und Ab der Schneisen und Durchbrüche. Dazwischen immer wieder unversehrte Stücke, fünfzig, sechzig Meter lang. Auf einem davon hatten Maryam und er damals ihre erste Pause nach dem Aufbruch aus Samarkand eingelegt. Ihre letzte gemeinsame Nacht.
    Er wollte sich dazu zwingen, nicht nach der Stelle Ausschau zu halten. Schließlich tat er es doch. Es war nicht einmal schwer, sie zu finden. Er flog einen Kreis über dem Wall und entdeckte eine auffällige Bruchkante. Mochten die Götter wissen, mit welchen Waffen die Dschinne dort einen Keil in das Bauwerk getrieben hatten. Der Blick ins Innere der Mauer entblößte eine poröse Struktur aus Korridoröffnungen auf mehreren Ebenen. Kein Wunder, dass das Gestein so schnell nachgegeben hatte. Gewiss hatten die alten Baumeister nicht damit gerechnet, dass der Wall einmal von Mächten berannt werden würde, die über andere Werkzeuge als Rammböcke und Belagerungstürme verfügten.
    Viele Öffnungen waren verschüttet, aber einige klafften schwarz und rechteckig im Sternenschein. Er hatte Maryam gefragt, ob sie ihr Angst machten, aber sie hatte gelächelt und den Kopf geschüttelt. Nicht, solange er bei ihr war.
    Hier oben hatten sie das letzte Mal beieinandergelegen, auf dem Teppich, ausgebreitet auf dem uralten Stein, auf dem einst das Blut ihrer Vorfahren getrocknet war. Über ihnen die Sterne, so wie heute Nacht. Ganz nah an ihren Ohren das Rieseln der Sanduhr: das Flüstern der Zeit, die ihnen blieb.
     

     
    Tariks Teppich senkte sich auf den Wehrgang. Sandwehen raschelten über das Gestein. An den Zinnen hatten sie sich zu kniehohen Schrägen getürmt. Im Mondschein entdeckte er Abdrücke von unbeschlagenen Hufen. Abgefressenes Unkraut in den Mauerfugen.
    Verwundert schaute er sich um. Jenseits des Flusses schimmerten die sanft gewellten Dünen der Karakum silbrig im Sternenlicht. Im Osten waren die fernen Berge in der Dunkelheit versunken, und mit ihnen Samarkand hinter dem zweiten, niedrigeren Wall.
    Nirgends waren fliegende Pferde zu sehen. Ihre Spuren im Sand waren noch nicht verweht. Es konnte nicht lange her sein, dass sich hier eine ganze Herde aufgehalten hatte. Schade, dachte er. Er hätte sie gern gesehen. Es gab nur wenige Wesen von solcher Eleganz und Majestät. Die vereinzelten Elfenbeinpferde in Samarkand waren verängstigte Tiere, immer damit beschäftigt, von einem Dach zum anderen zu fliehen, sobald Menschen ihnen zu nahe kamen. Eine wilde Herde aber musste ein erstaunlicher Anblick sein. Er ertappte sich dabei, wie er in den Nachthimmel starrte, in der Hoffnung, sie vielleicht doch noch zu sehen, egal wie fern und unscheinbar.
    Er zog das Krummschwert und machte sich daran, das erhaltene Teilstück des Walls abzugehen. Ein Stück von den Pferdespuren entfernt entdeckte er weitere Abdrücke im Sand. Menschliche diesmal. Ein Mann, der Sandalen trug. Und eine Frau, die barfuß lief. Unweit davon das verwischte Rechteck einer Teppichlandung.
    Einen Augenblick lang war es wieder, als wäre er zurück in die Vergangenheit getreten. Die Gefühle fegten wie ein Windstoß über ihn hinweg, ließen ihn taumeln. Dann kehrte die Gegenwart zurück, die Erkenntnis der Wahrheit.
    Junis und Sabatea waren also hier gewesen. Wie lange konnte das her sein? Wenige Stunden, allerhöchstens. Er, allein auf dem Teppich, war schneller als sie. Das bedeutete, dass er sie bald aufstöbern würde, irgendwo weiter westlich. Er hatte gehofft, sie einzuholen, bevor sie allzu tief in die Karakum vordrangen. Glaubte er wirklich, dass er sie aufhalten konnte? Umstimmen? Oder einfach nur beschützen? Er war nicht sicher, was er sich erhoffte. Aber er würde nicht zulassen, dass der einzige Mensch, der ihm noch etwas bedeutete, das Schicksal Maryams teilte. Junis war trotz allem sein Bruder. Es hatte eine Zeit gegeben, als sie sich beide nicht dafür geschämt hatten.
    Und das Mädchen?
    Tarik untersuchte die Spuren genauer. Junis’ Sorglosigkeit war himmelschreiend. Er hinterließ eine Fährte, die für die Kreaturen des Dschinnlandes wie

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