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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Tarik, sondern zu einer leeren Stelle hin, die näher am Ostrand des Walls lag. Eine Stelle, von der er plötzlich und mit völliger Gewissheit wusste, dass es dieselbe war, an der Maryam und er vor sechs Jahren ihre letzte Nacht miteinander verbracht hatten.
    Die Wesen waren keine Diener der Dschinne, wie viele andere Kreaturen, die hier draußen existierten. Nur Parasiten eines Ödlandes, in dem seit dem Ausbruch der Wilden Magie vor einem halben Jahrhundert Lebewesen existierten, die es zuvor nicht gegeben hatte. Falls sie einen Namen hatten, so kannte Tarik ihn nicht.
    Aber er wusste, auf was sie es abgesehen hatten.
    Und einen Augenblick lang erwog er, ob er es ihnen nicht geben sollte.

 
Erinnerungsfresser
 
 
    Tarik sprang über eines der Wesen hinweg und rannte auf sein Bündel zu, das er neben der Sanduhr auf dem Teppich abgelegt hatte. Die Kreaturen beachteten ihn nicht. Stumpfsinnig, mit saugenden, schmatzenden Geräuschen schoben sie sich vorwärts und hinterließen glitzernde Spuren auf dem Stein.
    Sie besaßen keine Verstecke, keine Schlupfwinkel, in denen sie auf Beute lauerten. Tarik hatte einmal mit angesehen, wie einige von ihnen aufgetaucht waren: Sie drangen als dickflüssige Nässe aus dem Boden, ausgeschwitzt von der Wüste. Erst an der Luft geronnen sie zu fester Gestalt und gingen auf Jagd. Später, wenn ihr Hunger gestillt war, versickerten sie wieder im Sand. Sie waren nicht das größte Wunder des Dschinnlandes, und doch eines seiner verblüffendsten.
    Noch immer achtete keines der Wesen auf Tarik. Ihr Ziel war die unscheinbare leere Stelle auf dem Wehrgang, an der er einst mit Maryam gelegen hatte. In wenigen Augenblicken würden die ersten sie erreichen.
    Er ließ das Krummschwert fallen und zerrte einen prallen Lederschlauch aus seinem Bündel. Ihm blieb kaum noch Zeit. Das plumpe Äußere der Kreaturen täuschte.
    Wenn sie erst einmal am Ziel waren, würde es schnell gehen.
    Noch während er sich wieder in Bewegung setzte, riss er den Korken aus der Öffnung. Tarik hetzte an die Stelle, auf die die Wesen zustrebten. Eines war bereits zur Ruhe gekommen, festgesaugt am Gestein. Es pulsierte in rhythmischen Schüben. Blähte sich auf, sank zusammen, immer wieder von neuem, während inmitten der Quallenmasse ein verzweigtes Adernetz aufglühte, in einem bläulichen, unnatürlichen Schimmer.
    Tarik stieß einen zornigen Schrei aus, hielt den Lederschlauch über das Wesen und presste ihn zusammen. Darin befand sich kein Wasser. Stattdessen sprühte ein Schwall Salz aus der Öffnung und ergoss sich über die Kreatur. Das Pulsieren stockte, dann ertönte ein Knistern und Zischen. Mit einem Mal bildeten sich dort, wo das Salz die Wölbung des Wesens berührte, eine Vielzahl Pockennarben im Kristallfleisch der Qualle. Sie wurden größer, flossen ineinander, vereinigten sich zu einem handgroßen Krater, der sich immer tiefer in das Gewebe grub. Das Glühen der Adern verblasste, der scheußliche Balg sank in sich zusammen und wurde vom Salz zerfressen. Nach wenigen Atemzügen verriet nur ein glitzernder Ring aus Gallerte, wo das Wesen gelegen hatte. Schillernde Feuchtigkeit verklebte den Wüstenstaub auf dem Wehrgang.
    Tarik fuhr herum und erwartete die anderen. Ihr Ring zog sich enger um ihn zusammen. Dabei hatten sie nicht das geringste Interesse an ihm selbst; daran änderte auch der Tod ihres Artgenossen nichts. Sie besaßen keinen Verstand, nur animalischen Trieb. Ihr Instinkt sagte ihnen, dass nicht der Mann ihre Nahrung war, sondern die Energie, die diesem Ort innewohnte. Energie, die Tariks Rückkehr hierher aus tiefem Schlaf gerissen hatte.
    Die Wesen ernährten sich von Erinnerungen. Witterten sie einen Menschen, der mit einem Ort Gedanken und Bilder verband, ganz gleich welcher Art, so stiegen sie aus der Wüste auf und saugten sich dort fest, wo sich die Vergangenheit für sie als Nahrung verdichtete. Hatten sie ihr Mahl beendet, war die Erinnerung aufgesaugt wie süßer Nektar, vollständig ausgelöscht. Kehrte das Opfer später an diesen Ort zurück, empfand es dort nichts als sehnsuchtsvolle Leere, die manch einen in den Wahnsinn trieb. Tariks Vater hatte von Einsiedlern im Dschinnland berichtet, die sich an solchen Plätzen niedergelassen hatten. Das Gefühl eines unbestimmten Verlusts brachte sie um den Verstand, bis andere Bewohner der Einöde sie entdeckten und zu ihrer Beute machten.
    Tarik klemmte sich den Lederschlauch unter den rechten Arm und schüttete Salz in seine

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